Berlin
Massive Bauernproteste gegen Agrarpolitik der Regierung und EU
Eindrucksvoll demonstrierten heute über 10.000 Bauern mit ihren Traktoren in Berlin vor dem Brandenburger Tor.
Es war ein weiterer Höhepunkt, nachdem bereits in den vergangenen Wochen Tausende von Klein- und Mittelbauern in verschiedenen Städten mit Traktorkolonnen auf ihre Probleme aufmerksam gemacht hatten. Trotz großer Staus gab es unter der Bevölkerung viel Verständnis dafür.
Zur Demo aufgerufen hatte die Bewegung "Land schafft Verbindung“. In kürzester Zeit hat sich diese Bewegung in ganz Deutschland über das Internet organisiert und wuchs in Windeseile an - auch aus Protest gegen den Deutschen Bauernverband.
Ihr selbstorganisierter Charakter ist zweifellos ein wichtiger Trumpf, gleichzeitig versuchen auch bürgerliche Parteien und Teile der Agrarindustrie auf die Bewegung Einfluss zu nehmen.
Agrarplattform und MLPD stoßen auf großes Interesse
Während die meisten Redner bei der offiziellen Kundgebung in der einen oder anderen Weise an die Regierung appellierten, orientierte Arnold Blum von der Agrarplattform des Internationalistischen Bündnisses auf den Zusammenschluss der Bauern. Von der Regierung sei nichts anderes zu erwarten, als dass sie im Interesse der Konzerne handelt. Dafür erhielt er großen Beifall.
Genossinnen und Genossen der MLPD verteilten das von ihr im Oktober herausgegebene Flugblatt zum "Wahn-/Unsinn der Düngeverordnung", warben für den Zusammenschluss von kämpferischer Bauernbewegung mit der Arbeiter- sowie der Umweltbewegung und sammelten Unterschriften für die Unterstützung der Agrarplattform des Internationalistischen Bündnisses. Das stieß auf große Offenheit und viel Interesse. Eine MLPD-Vertreterin: "Wenn man mit Leuten in die Diskussion kam, hörten die Umstehenden meist neugierig zu und wollten dann selbst das Flugblatt haben."
"No farmers, no food, no future"
„No farmers, no food, no future“, diese Losung weist auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Proteste hin. Völlig zu Recht richtet sich die Wut der Klein- und Mittelbauern gegen die Agrarpolitik von Regierung und EU. Seit Jahrzehnten hat sie bäuerliche Existenzen vernichtet. Unter dem Diktat von Agrar- und Handelsmonopolen wurden die Erzeugerpreise in den Keller gedrückt.
Ein Bauer aus Baden-Württemberg heute in Berlin: „Ich muss dreimal so viele Schweine halten wie mein Vater, um über die Runden zu kommen. So stark ist der Druck der Handelsketten. Ich bin nicht bereit, das auszubaden.“ Ein Bauer aus Niedersachsen: “Die Umsatzsteuer ist reiner Wahnsinn. Sie zwingt uns in die Knie. Es bleibt nur noch, die Zahl der Kühe zu vergrößern.“
Agrarpaket für Großagrarier
Die umweltzerstörenden kapitalistischen Produktionsmethoden wurden dagegen gefördert. Von Millionen Euro direkter Subventionen durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU haben Großkonzerne profitiert. So hat z.B. der Nahrungsmittelkonzern Südzucker rund 1,5 Millionen Euro aus Brüssel erhalten. Die Steinhoff-Familienholding, ein Konstrukt aus insgesamt 71 Beteiligungen an Agrar-Unternehmen, erhielt fast 4,5 Millionen Euro. Im Gegensatz dazu wälzt das Agrarpaket der Bundesdesregierung zusätzliche Lasten auf Klein- und Mittelbauern ab.
Dazu ein mittlerer Bauer aus Niederbayern: „Über dem Reichstag sollte nicht stehen 'Dem deutschen Volk' sondern 'Der deutschen Industrie'! Die Gülleverordnung verhindert ökologisches Arbeiten. Das kostet nur Geld und bedroht unsere Existenz. Den Reibach macht die Düngeindustrie.“
Heuchlerisch stellt Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) das Paket als Umweltschutzmaßnahme dar. Kinder zwischen 10 und 12 Jahren trugen ein Transparent „Wir wollten eigentlich Bauern werden" und selbstbewusst fügen sie hinzu: „Der Klöckner gehen wir Bauern doch am Arsch vorbei. Sie sollte nicht über die Bauern entscheiden, sondern die Bauern sollten selbst entscheiden." Ein weiterer Teilnehmer sagte einem Radioreporter: „Uns soll der Schwarze Peter zugeschoben werden, dabei sind wir von ganzem Herzen Landwirte und mit der Natur verbunden.“
Von Umweltzerstörung selbst stark betroffen
Um von den eigentlichen Verursachern abzulenken, sollen die Bauernproteste gegen die Umweltschutzbewegung ausgespielt werden. Die kleinen und mittleren Bauern sind selbst von der Umweltzerstörung stark betroffen, durch Dürre, Überschwemmungen, Artensterben. Sie haben ein ureigenes Interesse, in Einheit mit der Natur zu produzieren. So lautete auch ein Transparent: „Landwirte gemeinsam mit der Natur".
Mit den Güllevorschriften wird das Problem überhaupt nicht gelöst, im Gegenteil. Die Hauptursache für zu viel Nitrat im Grundwasser ist die industrielle Massentierhaltung bei Schweinen und Geflügel. Diese wurde erst mit der Abschaffung der Flächenbindung durch die EU-Kommission möglich. Dadurch konnten Großinvestoren und Lebensmittelkonzerne direkt in die Massenproduktion einsteigen.
Die Entwicklung in der Landwirtschaft ist nicht isoliert. Sie ist Teil der im Kapitalismus gesetzmäßigen Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Deshalb ist der Zusammenschluss von Bauern-, Arbeiter-,Frauen-, Jugend- und Umweltbewegung zu einer gemeinsamen Widerstandsfront notwendig. Die Agrarplattform fördert zugleich auch den internationalen Zusammenschluss als Teil der Weltbauernkonferenzen der ICOR.
Sofortmaßnahmen und weitergehende Perspektiven
Dringend nötig sind unter anderem folgende Sofortmaßnahmen:
- Einführung von Tier-Obergrenzen pro Betrieb und Fläche! Förderung von kleinen und mittleren Betrieben bei Neu- und Umbau bestehender Ställe!
- Höhere Erzeugerpreise auf Kosten der Handels-und Nahrungsmittelkonzerne. Erzeugerpreise unter den Produktionskosten müssen unterbunden werden!
- Förderung der Weidehaltung bei Rindern über Mindestpreise (mindestens 50 Cent je Liter Milch)
- Förderung des Anbaus von Hülsenfrüchten wie Erbsen, Ackerbohnen, Lupinen, Linsen usw.! Verbot von Sojaimporten aus Regionen, in denen dafür der Regenwald gerodet und flächendeckend Glyphosat eingesetzt wird!
- Verpflichtende Kennzeichnung aller Lebensmittel, der Herkunft, der Inhaltstoffe und der Produktionsbedingungen!
- Förderung umweltschonender Anbaumethoden und artgerechter Tierhaltung!
Die Agrarplattform im Internationalistischen Bündnis lädt zu einer Podiumsdiskussion am 29. November 2019 auf dem Weihnachtsmarkt der Horster Mitte ein: „Landwirte im Fadenkreuz der Umweltpolitik der Regierung – was tun?“ Die Podiumsdiskussion findet um 19 Uhr in der Schmalhorststraße 1 in Gelsenkirchen-Horst statt. Alle Interessenten, Umweltbewegten, Bäuerinnen und Bauern sind herzlich eingeladen!