Chemie-Abschluss
Kleine Zugeständnisse und fauler Kompromiss
Nach wenigen Verhandlungsrunden erfolgte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie am 22. November der Tarifabschluss.
Bundesweit traten mit mehr als 500 Aktionen bis zu 100.000 Beteiligte für die Forderung nach einem Zukunftskonto mit fünf zusätzlichen freien Tagen ein.
Ein Krisenabschluss
Der rasche oberfaule Kompromiss offenbart den Druck, unter dem der Bundesarbeitgeberverband der Chemischen Industrie (BAVC) und die IGBCE-Führung stehen. Die verschärfte Ausbeutung, massenhafte Arbeitsplatzvernichtung wie bei Bayer oder Evonik sorgen für Unruhe in den Belegschaften. Zugleich erwartet der BAVC eine Vertiefung der Wirtschaftskrise in Deutschland und weltweit.
Da können die Chemiemonopole keine lange Tarifrunde brauchen. Auch die IGBCE–Führung fürchtet sich vor ihrer Basis. Sie will die „Sozialpartnerschaft“ mit den Chemiekapitalisten nicht gefährden. Die neue Tarifvereinbarung bietet kleine Zugeständnisse, ist aber insgesamt ein Ergebnis einer negativ ausgerichteten Klassenzusammenarbeitspolitik.
Ohne Mandat der Kolleginnen und Kollegen
Hauptforderung der IGBCE war ein „Zukunftskonto“ für fünf zusätzliche freie Tage: „Die Einrichtung eines tariflich abgesicherten, persönlichen Zukunftskontos in Höhe von jährlich 1000 Euro, über das alle Beschäftigten, einschließlich der Auszubildenden, individuell verfügen können.“1
Vereinbart wurde, dass Unternehmer und Betriebsrat aus acht verschiedenen Optionen mindestens zwei auswählen: Langzeitkonten, tarifliche Altersvorsorge, Berufsunfähigkeitsrente Chemie, Qualifizierung, Gesundheitsmaßnahmen, freie Tage, Erhöhung Pflegeversicherung oder Auszahlung. Dies können, aber müssen keine freien Tage sein. Die Kolleginnen und Kollegen dürfen nur im Rahmen dieser Vorauswahl entscheiden.
Die volle Wahlmöglichkeit haben die Unternehmer. Sie können Qualifizierungsmaßnahmen oder Gesundheitsvorsorge auf die Beschäftigten abwälzen.1 Außerdem kann die Verwendung des Zukunftsbetrags jährlich neu geregelt werden. Anstatt einer bundesweit einheitlichen Tarifregelung müssen in 1900 Betrieben Betriebsräte Betriebsvereinbarungen abschließen, was die Einheit der Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten spaltet.
Weitgehende Öffnungsklauseln zur Arbeitszeit
In § 12 des „Tarifvertrags Moderne Arbeitswelt“ werden erstmals befristete individuelle Vereinbarungen zur wöchentlichen Arbeitszeit möglich, mit mindestens 32 Wochenstunden, bis zur gesetzlichen Höchststundenzahl. Diese kann bis zu 60 Stunden in der Woche gehen. In § 13, II, 3. wird die tägliche Ruhezeit zwischen Arbeitsende und Arbeitsbeginn auf bis zu neun Stunden verkürzt. Das Arbeitszeitgesetz schreibt elf Stunden vor und nur in Ausnahmen neun Stunden.
Vereinbart wurde ein Beitrag der Unternehmer von 33,60 Euro monatlich pro Beschäftigten zu einer Pflegeversicherung. Angesichts der unzureichenden Leistungen der staatlichen Pflegeversicherung scheint das einleuchtend. Aber damit wird der Rückzug des Staates und der Unternehmer aus den öffentlichen Sozialversicherungen verstärkt und die soziale Vorsorge mehr und mehr privatisiert. Die Versicherungen kassieren garantierte Extraprofite.
Unterm Strich Einkommensverluste
Die vereinbarten Lohnerhöhungen von 1,5 Prozent ab Juli 2020 (davor Nullmonate mit Einmalzahlung) und 1,3 Prozent ab Juli 2021 bedeuten Lohnverlust und liegen kaum über der offiziellen Inflationsrate. Dies macht auch die Steigerung des tariflichen Weihnachtsgelds von 95 auf 100 Prozent nicht wett.
Am Schluss der Tarifvereinbarung geht die IGBCE-Führung eine „Verhandlungsverpflichtung“ über ein „neues tarifliches Modell“ der Altersfreizeiten ein, im Jahr 2020 – mitten im Tariffrieden! Dem BAVC sind die Altersfreizeiten ein Dorn im Auge, die Kolleginnen und Kollegen ab 55 oder 57 Jahren zustehen.
Stärkung der MLPD und der IGBCE als Kampforganisation
Ohne Kampf gibt es keine wirklichen Erfolge. Diese Lehre müssen die Kolleginnen und Kollegen aus diesem Tarifabschluss ziehen. Die Reaktionen sind gespalten. Einerseits Zufriedenheit über den Abschluss, andererseits kritische Stimmen, wo sich Kolleginnen und Kollegen näher mit dem Abschluss befassten. Die von der IGBCE-Führung angepriesene „Chemie-Sozialpartnerschaft“ bedeutet Unterwerfung unter die Interessen der Chemiemonopole. Mehr als 40 Jahre wurden Streiks in der Chemieindustrie umgangen, auf Kosten der Arbeitsplätze, der Gesundheit und mit enormer Arbeitshetze.
Viele Kolleginnen und Kollegen empfinden diese reformistische Politik als Sackgasse. Sie wollen ihre IGBCE als Kampforganisation für ihre wirtschaftlichen Interessen. Dafür setzen sich die Betriebsgruppen der MLPD ein. Mitglied werden in der MLPD und ihren Betriebsgruppen – das ist die richtige Zukunftsentscheidung!