Thüringen

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Mit Kuhhandel die Kuh vom Eis gebracht?

Gestern haben sich in Thüringen Linkspartei, SPD, Grüne und CDU nach stundenlangen Verhandlungen darauf geeinigt, die überfälligen Neuwahlen des Parlaments auf den 25. April 2021 zu vertagen.

Von bs / gis
Mit Kuhhandel die Kuh vom Eis gebracht?

Bei dem Kompromiss handle es sich um einen "Stabilitätspakt gegen die AfD", ließen die Teilnehmer des zähen Ringens verlauten. Mithilfe einiger Stimmen der CDU-Fraktion, die diese zugesagt hat, soll am 4. März Bodo Ramelow (Linkspartei) wieder zum Ministerpräsidenten gewählt werden; die CDU werde eine Minderheitsregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen de facto tolerieren. Mit dieser ganz großen Koalition soll die Regierungskrise in Thüringen ein vorläufiges Ende finden.

 

Damit hat sich in Thüringen das CDU-Lager durchgesetzt, das sich für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei offen zeigt. Wohlgemerkt: mit dieser Linkspartei, mit diesem Bodo Ramelow - keineswegs mit einer linken Politik. Weitere Disziplinierung der Linkspartei ist im Pakt inbegriffen. Unmittebar nach der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 hatte Mike Mohring, Thüringens CDU-Fraktionschef, schon einmal den Versuch unternommen, die CDU in Richtung eines Bündnisses mit der Linkspartei zu führen. Dafür wurde er von seiner Fraktion und von der Bundesspitze der CDU zurechtgestutzt. Dabei hätte Bodo Ramelow für den Erhalt seines Postens damals liebend gern mit der CDU regiert. Für die am Freitagabend in Thüringen beschlossene Richtung - "das ist Realpolitik" - stehen in der CDU unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, die frühere Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Ramelow sei „kein so problematischer Ansprechpartner“, so Günther. Günther weiß, dass Ramelow im Kern Sozialdemokrat ist – und alles andere als den leibhaftigen Kommunismus verkörpert! Dass auch im bürgerlichen Lager inzwischen die Haltlosigkeit der sogenannten Extremismus- oder Totalitarismustheorie (rechts = links) eingeräumt wird, ist auch ein Ergebnis der Offensive der MLPD gegen den modernen Antikommunismus. Wobei diese Einsicht im bürgerlichen Lager selbstverständlich nur für bestimmte Linke gilt - für die MLPD ganz sicher nicht!

 

Am 5. Februar wählte ein informelles Bündnis aus CDU, FDP und der faschistoiden AfD Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten. Binnen Tagen und Stunden brandeten antifaschistische Proteste auf, in Erfurt fand die größte antifaschistische Demonstration seit Jahren statt. Infolge der offenen politischen Krise wurde über die Tolerierung der AfD, in der sich offene Faschisten wie Björn Höcke betätigen, durch CDU- und FDP-Politiker so viel diskutiert wie selten. Nochmals verstärkte sich eine breite antifaschistische Bewegung nach dem faschistischen Massaker in Hanau. Tatsächlich kann es sich die CDU in dieser Situation nicht leisten, offiziell eine offene Tür zur AfD als Wegbereiterin des Faschismus zu haben.

 

Der Pressesprecher der MLPD Thüringen, Andreas Eifler, heute Mittag gegenüber Rote Fahne News: "Stabile Verhältnisse wollen alle, von CDU bis Linkspartei - stabile kapitalistische Verhältnisse nämlich. Luther hat schon vor 500 Jahren gegen den Ablasshandel polemisiert. Den praktiziert die Thüringer CDU jetzt. Von Reue wegen ihrer Wahl von Kemmerich, gemeinsam mit der AfD: keine Spur. Der CDU graust es vor dem Fegefeuer eines Absturzes auf 13 Prozent Wählerstimmen. Der Opportunismus der Linkspartei ist genauso bodenlos. Nur um in der Regierung zu bleiben, tritt sie die Solidarität und die antifaschistischen Proteste mit Füßen. Ein totaler Affront gegen Antifaschisten, aber auch gegen die Wähler der Linkspartei. Die wollten eine linke Politik wählen, und jetzt kriegen sie einen Ministerpräsidenten von der reaktionären CDU Gnaden. Die MLPD bleibt ihrer Politik treu. Keinen Fußbreit den Faschisten, strafrechtliche Verfolgung von Björn Höcke, Neuwahlen jetzt, vorwärts mit der Stärkung der sozialistischen Perspektive!"

 

Mit der Weigerung, sich in dieser Situation für Neuwahlen auszusprechen, zeigt Bodo Ramelow, dass er auf dem Altar des parlamentarischen Postengeschachers jegliche Verbindung mit den Massen, mit den Antifaschisten, mit dem fortschrittlichen Stimmungsumschwung opfert. Dabei hätte die Linkspartei nach aktuellen Umfragen eine Mehrheit von 40 Prozent, während die Umfragewerte der AfD sinken. Der Wahlkampf wäre ja hervorragend geeignet, zusammen mit den Massen die Erfahrungen zu verarbeiten und den fortschrittlichen Stimmungsumschwung zu festigen.

 

Kaum hat sich gestern abend das eine CDU-Lager in Thüringen durchgesetzt, meldet sich jetzt laut das andere. Die Bundes-CDU, so Generalsekretär Paul Ziemiak, werde der Wahl eines Ministerpräsidenten der Linkspartei auf keinen Fall zustimmen. Ins gleiche Horn twittert Jens Spahn. Das große Aufatmen der bürgerlichen Politiker in Thüringen kann also schnell einem großen Schluckauf weichen.