Urteil
Bundesverfassungsgericht erleichtert selbstbestimmtes Sterben
Am 26. Februar hob das Bundesverfassungsgericht ein 2015 erlassenes Gesetz auf, das die Sterbebegleitung, oder so genannte passive Sterbehilfe, unter Strafe stellte.
Mit diesem Paragrafen 217 wurden Ärzten und Sterbehilfevereinen die Hände gebunden, wenn ein sterbewilliger Mensch darum bat, ihm Medikamente zur Selbsttötung zu verschaffen.
Mit Verweis auf die „Würde des Menschen“ unterstützt das Gerichtsurteil das individuelle Selbstbestimmungsrecht – auch über die Beendigung des eigenen Lebens. Es bekräftigte die „Freiheit, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen.“ Damit werden dem Staat Grenzen gesetzt, der sich anmaßt, über den immer noch gültigen Paragrafen 218 über den Beginn, und mit diesem Paragrafen über das Ende des Lebens des Einzelnen zu bestimmen.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wünschte sich „ein anderes Urteil“ und Kirchenvertreter sprechen von einem „völlig überhöhten Autonomiebegriff“. Noch bevor sie das Urteil lesen konnten, riefen sie nach neuen staatlichen Regulierungen. Dabei sieht das Gericht Möglichkeiten zur Kontrolle von Sterbehilfevereinen und besserer Beratung. Ob aber dazu eine staatliche Beratungspflicht und Wartezeiten wie beim Paragrafen 218 angemessen sind, muss infrage gestellt werden. Natürlich ist jede Geldmacherei mit Sterbehilfe abzulehnen. Das treibende Motiv von Kirchenführern und Jens Spahn ist aber offenbar, dass ihnen die Selbstbestimmung bewusster und urteilsfähiger Menschen ein Graus sind.
Es ist richtig, dass in Deutschland eine besondere Sensibilität im Umgang mit diesen Fragen um Leben und Tod notwendig ist. Der griechische Begriff für Selbsttötung, „Euthanasie“, wurde im Hitler-Faschismus furchtbar missbraucht - als Rechtfertigung des organisierten Massenmords an psychisch Kranken und Menschen mit körperlichen oder geistigen Handicaps.
Niemals mehr darf es solche Aburteilungen zu „unwertem Leben“ geben. Zugleich aber gehört die Freiheit, über sein Leben so weit wie möglich selbst zu entscheiden, zu den grundlegenden demokratischen Rechten.
Es ist Sache der gesellschaftlichen Diskussion und der Verantwortung von Freundinnen und Freuden, Ärztinnen und Ärzten und Familien dafür zu sorgen, dass alte oder kranke Menschen nicht vereinsamen, sich als überflüssig empfinden oder dass Druck gemacht wird, weil ihre Betreuung und Behandlung als zu teuer angesehen wird. Auch sind mehr Mittel für Palliativversorgung¹ und Hospize nötig.
Über Krankheit, Leben und Tod nachzudenken, darüber zu sprechen und zu handeln – das geht alle an. Gerade darum ist das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Sinne der bewussten Selbstbestimmung zu begrüßen.