Im Blickpunkt
Änderungen beim Infektionsschutzgesetz haben einschneidende Auswirkungen
Der Bundestag beschloss gestern nicht nur gigantische Subventionen für die Wirtschaft, sondern ein ganzes Paket von Maßnahmen.
In bisher ungekanntem Eiltempo wurden diese Beschlüsse durch ein auf ausgewählte Abgeordnete verkleinertes Parlament gejagt. Darunter Änderungen des Infektionsschutzgesetzes.
Ein Teil davon ist diskussionswürdig. So die Ermächtigung des Bundesgesundheitsministeriums, "Maßnahmen zur Grundversorgung mit Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln sowie zur Stärkung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen zu treffen". Zweifellos sind zentrale Maßnahmen zur Vorsorge gegen Pandemien durchaus sinnvoll. Soll so aber auch die Möglichkeit zur Zwangsverpflichtung von Personal geschaffen werden? Und das, nachdem die Gesundheitsminister aller Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte maßgeblich die zunehmende Profitorientierung des Gesundheitswesens einschließlich massivem Personalabbau vorangetrieben haben.
Nachträgliche "Legalisierung"
Entschieden abzulehnen ist die brisante Streichung des Halbsatzes im Paragraf 28 des Gesetzes, dass die Verpflichtung, Orte nicht zu verlassen oder nicht zu betreten, nur solange angeordnet werden darf, "bis die notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen sind". Damit soll es möglich werden, diese Beschränkungen auch für längere Zeit aufrechtzuerhalten. In den Katalog der Grundrechte, die dadurch eingeschränkt werden können, hat der Bundestag zusätzlich die "Freizügigkeit" nach Artikel 11 Grundgesetz aufgenommen.
Mit dem Entwurf für diese Änderungen reagierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auch auf die mittlerweile wachsende Kritik an der willkürlichen und auch nach bürgerlichen Maßstäben rechtswidrigen Auslegung des Infektionsschutzgesetzes. Dazu Rechtsanwalt Nico Härting gegenüber tagesschau.de vom 24. März: "Es geht dem Bundesgesundheitsministerium doch ersichtlich darum, rechtswidrige Maßnahmen im Nachhinein zu legalisieren."
Infektionsschutz als Vorwand
Bei ihrer am 22. März verfügten neun Punkte umfassenden Notstandsverordnung beriefen sich Bundes- und Landesregierungen auf das Infektionsschutzgesetz. In Zeiten der unbedingt notwendigen Corona-Bekämpfung hört sich das natürlich besser an, als zuzugeben, was man wirklich vorhat: Im Windschatten der Pandemie weitere bürgerlich-demokratische Rechte und Freiheiten außer Kraft setzen und die Bevölkerung an Notstandsmaßnahmen zu gewöhnen, die vor allem zur Bekämpfung "innerer Unruhen" und "Aufstände" in den Schubladen liegen.
Juraprofessorin Andrea Ederharter kritisiert: "Tatsächlich berufen sich Regierungen und Behörden stets auf Paragraf 28 dieses Gesetzes. Er erlaubt, dass gegenüber Infizierten oder Verdachtsfällen besondere Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Aber das kann nicht für 82 Millionen Menschen gelten, die - trotz steigender Fallzahlen in Deutschland - zum jetzigen Zeitpunkt dennoch in der Mehrheit gesund sind. ... Diese Passage zielt ganz klar auf zeitlich und räumlich sehr eng eingegrenzte Beschränkungen. ... Aber eine wochenlange Einschränkung der Bewegungsfreiheit für ein ganzes Land lässt sich daraus auf keinen Fall ableiten ... ."
Sieben Grundrechte eingeschränkt
Doch tatsächlich schränken die Notverordnungen gleich sieben im Grundgesetz verankerte demokratische Rechte und Freiheiten ein bzw. setzen sie außer Kraft. Das ist seit 1945 der bisher weitestgehende Abbau bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968. Neu ist auch die sofortige und umfassende praktische Anwendung gegenüber der Masse der Bevölkerung. Dazu der Gelsenkirchener Rechtsanwalt Frank Jasenski:
"Bundesweit sind Versammlungen aller Art verboten, bei harter Auslegung der Verordnungen letztlich auch nichtöffentliche Versammlungen in Privaträumen. Zumindest für einige Berufsgruppen ist die Freiheit der Berufsausübung (Artikel 12 Grundgesetz) sowie das aus dem Eigentumsrecht des Artikel 14 abgeleitete Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb faktisch außer Kraft gesetzt.
Massiv eingeschränkt sind weiter die Grundrechte der Freiheit der Person und der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2)die, Religionsfreiheit (Artikel 4), die Freizügigkeit (Artikel 11) sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung. Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmung von Gegenständen sind damit möglich, wenn ein Corona-Verdacht – von wem auch immer - unterstellt wird. In Berlin und Bayern gibt es die bisher weitestgehenden Maßnahmen, die faktisch eine Ausgangssperre darstellen."
Aufgrund einer Änderung der Geschäftsordnung kann der Bundestag künftig Beschlüsse fassen, wenn nur mehr als ein Viertel seiner Mitglieder anwesend ist - bisher war die Hälfte dafür notwendig. Polizeikontrollen wurden massiv ausgebaut. Die Telekom hat bereits zweimal – angeblich anonymisierte - Kundendaten von über 46 Millionen Handynutzern an das Robert-Koch-Institut gegeben. Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird vorbereitet und begonnen. Das Verteidigungsministerium hat bereits 23-mal "Amtshilfe" der Bundeswehr beschlossen.
Wachsamkeit geboten!
Es ist natürlich richtig, dass Schulen geschlossen, Betriebe vorübergehend stillgelegt werden und die Leute sinnvolle Schutzmaßnahmen wie den Mindestabstand von ein bis 1,5 Metern einhalten. Nicht hinzunehmen ist aber die weitere Faschisierung des Staatsapparats unter dem Vorwand von Schutzmaßnahmen.
So erlaubt die Stadt Gelsenkirchen keinerlei Infostände von Parteien oder Organisationen mehr. Was soll ein Infostand, an dem zwei Personen mit entsprechendem Abstand stehen, für eine Gefahr sein? Und jeder entscheidet ja selbst, ob er Material mitnehmen will oder nicht.
Deshalb hat die MLPD die Losung ausgegeben: "Gesundheitsschutz JA! Notstandsmaßnahmen NEIN!"