75 Jahre Selbstbefreiung Buchenwald
„Das sind wir unseren gemordeten Kameraden schuldig“
Im Schwur von Buchenwald, den 19.000 ehemalige Häftlinge am 19. April 1945, acht Tage nach der Selbstbefreiung, auf dem ehemaligen Appellplatz schworen, heißt es: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig“
MLPD und Internationalistisches Bündnis organisieren würdiges Gedenken
Während in einigen Städten Ausnahmegenehmigungen für Ostermärsche erteilt wurden, die Kirchen in Mecklenburg-Vorpommern Freiluftgottesdienste durchführen durften und auch bundesweit verschiedene Demonstrationen genehmigt wurden, betätigte sich die Thüringer Landesregierung als Scharfmacher. Die Stadtverwaltung Weimar verbot die angemeldete Kundgebung der MLPD mit Verweis auf die Thüringer Corona-Verordnung. Im Unterschied zu anderen Bundesländern hebelt sie das Versammlungsrecht vollständig aus. Ob das bewusst auch im Hinblick auf den Jahrestag der Selbstbefreiung in Buchenwald gemacht wurde, um fortschrittlichen Kräften ein Gedenken zu untersagen? In der internen Diskussion gab es aus den Reihen der Hinterbliebenen-Organisationen auch teils heftige Kritik, dass bei der offiziellen Gedenkfeier auch Leute wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen sollten.
Die an der Kundgebung von MLPD und Internationalistischem Bündnis beteiligten Kräfte verständigten sich, dass im Laufe des Vormittags jeweils nur ein Vertreter der jeweiligen Organisation nach Buchenwald kommen kann. Und so kamen im Laufe des Vormittags mit zeitlichem Abstand Tassilo Timm für die MLPD, Thomas May für den Eisenacher Aufbruch, Fritz Hofmann (ehem. Opel-Betriebsrat und IG-Metall-Vertrauensmann) für die klassenkämpferische Richtung der Arbeiterbewegung, Petra Ilius (Lehrerin, GEW-Mitglied) für die kämpferische Frauenbewegung und Andreas Eifler für die antifaschistischen Bewegung. Sie legten stolz und würdevoll je einen Kranz, ein Gebinde oder Blumen nieder und hielten eine kurze Ansprache (Rote Fahne News wird ein Video des Gedenkens veröffentlichen).
Es war den Beteiligten Ehrensache, diesen Tag nicht schäbig verstreichen zu lassen oder sich der Absage zu beugen. Gerade Buchenwald, wo die Häftlinge unter widrigsten Umständen sich nicht gebeugt haben. Man denke nur an die heimlich inszenierte Trauerfeier für den 1944 ermordeten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann.
11. April 1945 - Der Tag der Selbstbefreiung
Als am Morgen des 11. April 1945 US-Aufklärungsflugzeuge erschienen und vom Lager aus die ersten Panzerspitzen aus Richtung Erfurt gesichtet wurden, floh ein Großteil der faschistischen SS-Lagerbesatzung. Das illegale internationale Lagerkomitee der Gefangenen sah den Zeitpunkt des Aufstands gekommen. Zwischen 10 und 11 Uhr wurde Alarmstufe 2 ausgerufen. Die Waffen wurden aus den Verstecken geholt, die unter Leitung des Lagerkomitees stehende illegale Militärorganisation formierte ihre Truppen und ging zum Aufstand über. Sie waren entschlossen, weitere "Evakuierungen" der Häftlingen in den sicheren Tod durch die SS oder gar ein Massaker an den Insassen zu verhindern.
Hochorganisiert, diszipliniert und mit Todesverachtung gingen die Befreier vor. Um ca. 15.15 Uhr war das Lager in den Händen der Häftlinge. 21.000 Häftlingen konnte das Leben gerettet werden; darunter waren 3.000 Juden und 900 Kinder. Die Zahl der gefangenen SS-Männer erhöhte sich bis zur Nacht auf 220. Alle Gefangenen wurden später ordnungsgemäß den amerikanischen Truppen übergeben. Das Lagerkomitee duldete keine Selbstjustiz.
Die MLPD arbeitet zusammen mit dem Willi-Dickhut-Museum gegenwärtig an einer Broschüre zu diesem Thema, die im Laufe des Jahres erscheinen soll.
Kampf um Deutungshoheit der historischen Fakten
Um die Frage der Selbstbefreiung tobt ein heftiger weltanschaulicher Kampf. So sprechen bürgerliche Politiker und Medien in der Regel nur von „Befreiung“. So behauptete die gestrige ARD-Tagesschau wörtlich, die US-Truppen seien am 11. April auf das Lagergelände vorgerückt und hätten das Lager befreit. Obwohl die US-Truppen es erst am 13. April übernahmen. Keiner traute sich allerdings zum 75. Jahrestag offen die Selbstbefreiung als „kommunistischen Mythos“ anzugreifen, wie es sonst oft der Fall ist.
Was mit der Leugnung der Selbstbefreiung vor allem verschwiegen werden soll, ist die jahrelange systematische, disziplinierte Arbeit der politischen Häftlinge, allen voran der Kommunisten, die die Moral der Häftlinge hob und die Selbstbefreiung erst ermöglichte.
So sagte Kurt Goldstein, ehemaliger Ehrenpräsident des internationalen Auschwitzkomitees: „Mir ist für mein ganzes Leben in Erinnerung geblieben, mit welcher geradezu liebevollen Kameradschaftlichkeit uns die Buchenwalder behandelten.“
„Thüringer Erklärung“ ist ein Schwur auf den Kapitalismus
Gestern wurde mit großer medialer Begleitung eine sogenannte Thüringer Erklärung veröffentlicht. Erste Unterzeichner sind neben dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linkspartei) der Stiftungsleiter Volkard Knigge und Monika Grütters (CDU-Kultur-Staatsministerin). In der Erklärung steht kein Wort zur Selbstbefreiung der Buchenwaldhäftlinge oder zum Widerstand. Es wird nicht mal erwähnt, dass Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter inhaftiert waren.
Der bürgerliche Antifaschismus reduziert den antifaschistischen Kampf auf den Kampf gegen Rassismus und setzt letztlich Faschismus und Kommunismus gleich. Diese Erklärung geht sogar noch weiter. Die „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“, wie von den Buchenwaldern geschworen, kann nur die Beseitigung des Kapitalismus bedeuten. Ramelows „Thüringer Erklärung“ ist dagegen ein Schwur auf den Kapitalismus – hier zum „liberalen Rechtsstaat“ verklärt.
Bereits gestern berichtete Rote Fahne News zum 75. Jahrestag unter der Überschrift "Insassen des KZ Buchenwald befreiten sich selbst"