75. Jahrestag der Befreiung Solingens vom Hitler-Faschismus
Willi Dickhut an vorderster Front gegen die "Verteidigung" der Stadt
Vor 75 Jahren, zwischen dem 16. und dem 17. April 1945, endeten Krieg und faschistische Diktatur für die Bevölkerung der Stadt Solingen im Bergischen Land. Zum Jahrestag der Befreiung Solingens vom Hitler-Faschismus veröffentlichte das "Solinger Tageblatt" (ST) am 16. April zwei Artikel, die auch den Widerstand der Bevölkerung gegen die von den Faschisten beabsichtigte "Verteidigung" Solingens zum Thema hatten und Willi Dickhut würdigen.
Die Willi-Dickhut-Stiftung bedankte sich dafür beim Solinger Tageblatt und schickte ihm einen Artikelvorschlag, den wir nachfolgend dokumentieren. Philipp Müller, der dafür verantwortliche Redakteur des ST, antwortete promt: "Sehr geehrter Herr G., vielen Dank für das umfangreiche Material. Das werden wir bestimmt in unsere Würdigung der Ausstellung des Max-Levens-Zentrums1 im Mai einfließen lassen, die ja zumindest digital stattfinden wird."
Unter Führung der Kommunistischen Partei und unter maßgeblicher Beteiligung von Willi Dickhut, dem unbeugsamen Solinger Antifaschisten, Kommunisten, Arbeitertheoretiker und späteren Vordenker und Mitbegründer der MLPD konnten viele sinnlose Todesopfer, wie sie andernorts in den letzten Kriegstagen gefordert wurden, verhindert werden.
"Die Verteidigung muss zusammenbrechen"
Die Kommunisten waren in Solingen vor und direkt nach dem II. Weltkrieg die stärkste Kraft. Durch ihre organisierte illegale Arbeit, ihre klare Analyse des Kriegsverlaufs, ihre bewusste Planung einer politischen Arbeit nach der Zerschlagung des Hitler-Faschismus sowie einer auch 1945 immer noch breiten Verankerung unter der Arbeiterschaft waren sie am ehesten in der Lage, bei der Befreiung Solingens eine führende Rolle einzunehmen.
Einer von ihnen war Willi Dickhut. Er war schon im März 1933 Kandidat bei den Stadtratswahlen, dann fast vier Jahre im KZ und im Gefängnis, zehn Jahre lang in der Leitung der illegalen Arbeit der Kommunisten, ab April 1945 führend am antifaschistisch-demokratischen Wiederaufbau Solingens beteiligt. In seinen Lebenserinnerungen „So war’s damals“ schrieb er über den April 1945: 'Unsere illegale Organisation mußte unbedingt eingreifen. Die Stadt Solingen war zur Verteidigung eingerichtet. Panzersperren an den Ausgangsstraßen sollten die anrückenden Amerikaner aufhalten, sie mußten vorher beseitigt werden, um die Stadt vor Zerstörung zu bewahren. Die Verteidigung mußte zusammenbrechen, bevor die amerikanischen Truppen da waren, damit Solingen gerettet werden konnte ...
Aufruf an die Solinger Bevölkerung
Noch am gleichen Abend besprachen wir die nächsten Aufgaben. Kuno mußte tags darauf Ignaz aufsuchen und ihm auftragen, sofort alle Genossen und Sympathisanten zu mobilisieren, die dann die Bevölkerung auffordern sollten, weiße Fahnen zu hissen, die Panzersperren zu beseitigen und Soldaten in ihren Quartieren zur Flucht zu verhelfen. Am übernächsten Tag sollten die Genossen Flugblätter im ganzen Stadtgebiet nach Plan – wer, wieviel, wo und wann – verteilen. Kuno besorgte Wachsmatrizen, Saugpost und Farbe, ich schrieb in der Zeit den Text, und am Abend hatten wir einige tausend Flugblätter fertig. Sie wurden am Tage darauf ausgeliefert und abends verteilt. Das Flugblatt hat seine Wirkung nicht verfehlt, wie dies die nächsten Tage zeigten.
Die Massen waren mobilisiert
Am 15. April war die Lage noch unübersichtlich. Die Wehrmacht hatte Befehle erlassen, Solingen zu verteidigen bis zum letzten Mann. Ein verstärkter Einsatz zur Bearbeitung der Wehrmacht, d.h. Zersetzung wurde notwendig. Es wurden Massendiskussionen mit Soldaten organisiert. Da die einzelnen Truppenteile keinen klaren Zusammenhalt mehr besaßen, wurde durch Verbreitung von falschen Parolen, irreführenden Befehlen über Abschlüsse von Kapitulationen und Waffenruhe und die Erklärung Solingens zur offenen Stadt, die Zersetzung und Auflösung der Truppen mächtig gefördert ...
Die Massen waren in aufgeregter Stimmung und immer deutlicher drang die Entschlossenheit durch, die Verteidigung Solingens mit allen Mitteln zu verhindern. Während in den Stadtteilen die Beseitigung der Panzersperren weiterging, forderten die Massen vor dem Rathaus immer stürmischer die Einstellung des Kampfes. Aus dieser Stimmung heraus faßten einige Mitglieder der Antinazi-Bewegung den kühnen Entschluß, einen Vorstoß zur Kreisleitung der Partei und der Polizei zu machen, um, wenn nötig, mit Gewalt die Zustimmung des Kreisleiters Bülow und seiner Clique zur Waffenniederlegung zu erzwingen. In den sich nun abspielenden Verhandlungen wurden die Kreisleitung und die Polizei vollständig kaltgestellt ... Man muß in dieser Situation berücksichtigen, daß allen Beteiligten die oben zitierte Bekanntmachung des OKW vom 12.4. bekannt war, ebenso die Erklärung Himmlers, in der unmißverständlich gedroht wird: 'Keine deutsche Stadt wird zur offenen Stadt erklärt'.
Aber Himmler ist weit, und die Amerikaner sind nahe! Unsere Zersetzungsarbeit unter den Soldaten, Polizisten und NSDAP-Mitgliedern wurde mit äußerster Anstrengung betrieben und – hatte Erfolg!
Die Nacht der faschistischen Diktatur versank – es dämmerte der Morgen.“