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Der Schulterschluss von Wolfgang Schäuble mit Boris Palmer

Wem dienen Wolfgang Schäubles Sorgen um die Menschenwürde und Boris Palmers Provokationen gegen den Schutz alter Menschen? Darüber macht sich ein Korrespondent Gedanken - und über unterschiedliche Methoden, einen Kurswechsel im Krisenmanagement der Regierung durchzusetzen.

Von einem Korrespondenten
Der Schulterschluss von Wolfgang Schäuble mit Boris Palmer
(grafik: MLPD)

Am 27. April gab Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ein Interview, in dem er den mittlerweile allen bekannten Satz sagte: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig.“ Und er ergänzte, wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gäbe, dann sei das die Würde des Menschen. Aber: „Sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“

 

Seine Sorge um die Gefährdung der Menschenwürde hört sich hochphilosophisch an. Er spricht von den „gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychischen und sonstigen Auswirkungen“ der Corona-Krise und kommt dann zum eigentlichen Kern seiner Sorgen: Er sieht die Gefahr einer „Überlastung der staatlichen Handlungsfähigkeit“. Daraus zieht er die Schlussfolgerung: „Der Staat kann nicht auf Dauer den Umsatz ersetzen.“

"Humaner" Anstrich für Streben nach Maximalprofit

Daher weht also der Wind: Die Monopolverbände fordern ein schnelleres Ende aller Einschränkungen durch die Corona-Krise und fordern die Bundesregierung ultimativ auf, entsprechend umzusteuern. Für sie ist klar: Wer zuerst wieder „den Hebel umwerfen“ kann, ist im internationalen Konkurrenzkampf klar im Vorteil. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

 

Politiker wie Wolfgang Schäuble müssen nun für dieses ganz banale Streben nach Maximalprofit einen „humanen“ Anstrich suchen: für Vormachtstellung auf dem Weltmarkt und auch brutales Machtstreben, das sich keineswegs um die „Würde des Menschen“ und auch nicht um den „Schutz des Lebens“ schert, sondern beides bedroht und mit Füßen tritt. Plötzlich machen sich alle Sorgen um die Nöte der Kinder in den Familien. Besonders der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wird nicht müde, sein unverantwortliches Krisenmanagement (zum Beispiel Schulöffnungen ohne ausreichenden Schutz der Kinder) damit zu begründen.

Palmer springt in die Bresche

Aber es gibt auch eine andere Strömung, die ganz offen dafür plädiert, die humanen Floskeln beiseite zu lassen und offen die Stärkung des eigenen Imperialismus im Kampf gegen andere propagiert. Die abgeschmackten „Argumente“ von US-Präsident Donald Trump sind uns allen bekannt. Noch traut sich in Deutschland keiner, das so offen und brutal auszudrücken. Selbst die AfD fordert zwar die sofortige Rücknahme aller „Einschränkungen“ und begründet das auch mit der Konkurrenzfähigkeit „der Wirtschaft“, hält sich aber gemessen an ihrer sonstigen Hetze noch merklich zurück.

 

Aber irgendeiner muss doch faschistoide Hetze „hoffähig“ machen, die Rolle der AfD übernehmen, die mit ihrer Provokationsstrategie doch sonst dafür sorgt, dass offen faschistische Argumente (wie der angebliche Austausch der deutschen Bevölkerung durch Muslime) zum festen Bestandteil des bürgerlichen Politikbetriebes werden

 

Zum Glück haben die Grünen ja auch einen Provokateur, der es schon öfter verstanden hat, mit ausländerfeindlichen, reaktionären Sprüchen, die dann wachsweich dementiert werden, in die Öffentlichkeit zu treten: Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, den Ministerpräsident Winfried Kretschmann sich früher mal als seinen Nachfolger gewünscht hatte. Er verkündet: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Und dafür kann man natürlich keine ganze Volkswirtschaft opfern. Offen zu sagen, dass das Krisenmanagement in Kauf nehmen muss, dass alte Menschen sterben - das ist eine faschistoide Argumentation!

Wehret den Anfängen!

Die Parteiführung der Grünen ist pikiert, schädigt er doch das Image der Grünen als Partei mit humanistischen Wurzeln und empört viele Parteimitglieder aufs Äußerste. Boris Palmer soll - immerhin - 2022 jede Hilfe bei der nächsten Oberbürgermeisterwahl entzogen werden, einen Parteiausschluss will man jedoch vermeiden.

 

Boris Palmers Provokation ist Ausdruck einer Strömung in der herrschenden Klasse, bisherige Rücksichtnahmen aufzugeben und neue Herrschaftsmethoden zu installieren: Offen soll ein Teil des Volkes gegen einen anderen aufgehetzt werden. Auch hier muss man sagen: Wehret den Anfängen!