Stuttgart / Gelsenkirchen
Thomas Mann und Lenin - Original und Fälschung
Unter der Überschrift „Das Götzenbild von Gelsenkirchen“ behandelt die aktuelle Samstagsausgabe der „Stuttgarter Zeitung“ in einem vierspaltigen Artikel auf der Titelseite die heutige Aufstellung der Lenin-Statue.
Der Text versucht, verschiedene Zeitzeugen Lenins gegen ihn in Stellung zu bringen, u.a. Thomas Mann. Man reibt sich die Augen. War nicht Thomas Mann der große deutsche Schriftsteller mit dem berühmten Zitat vom Antikommunismus als Grundtorheit des Jahrhunderts?
Hier aber präsentiert ihn Armin Käfer, Berliner Korrespondent der StZ, plötzlich so, als wäre Thomas Mann selbst ein Antikommunist gewesen. Während die MLPD den „Demagogen und Putschisten als Staatsmann neuen Typs“ (StZ, 20.06.2020) feiere, habe Thomas Mann diesen als „Papst der Idee, voll vernichtenden Gotteseifers“ bezeichnet. Im Kontext mit anderen Zitaten negativen Bezugs zu Lenin klingen diese Worte wie eine willkommene Bestätigung für Armin Käfers antikommunistische Tiraden.
Was Thomas Mann wirklich zu Lenin sagte, dürfte ihm allerdings ziemlich peinlich sein, weswegen ich ihn bei nächster Gelegenheit auch zu einer öffentlichen Entschuldigung auffordern werde. Hier die Äußerung Thomas Manns anlässlich einer Umfrage aus dem Jahre 1924 zum Tode Lenins:
„Lenin war ohne Zweifel eine sekuläre (weltliche, Pb) Erscheinung, ein Mensch-Regent, demokratisch-gigantischen Stils, eine kraftgeladene Verbindung von Machtwille und Askese, ein großer Papst der Idee, voll vernichtenden Gotteseifers. Man wird seiner gedenken wie jenes Gregor, von dem das Heldengedicht sagt: 'Leben und Lehre standen nicht miteinander in Mißklang.' Der selbst gesagt hat: 'Verflucht sei der Mensch, der sein Schwert zurückhält vom Blute.'“
(Umfrage der Auslandsvertreters der Moskauer Zeitung „Iswestija“,Wladimir Solski. Siehe auch, „Ströme von Kraft – Thomas Mann und Tolstoi“, Alexej Baskakow, Böhlau Verlag 2014, S.107)