Griechenland
Athen: Randale?
Am 9. Juli protestierten über zehntausend Menschen durch die Straßen Athens. Hiesige Medien berichten vor allem von Ausschreitungen; das Monopolblatt "Bild" titelte: „Feuer-Randale in Athen“.
Was steckt dahinter?
Eine breite Allianz von Gewerkschaften, linken und revolutionären Parteien hatte zum Protest gegen das neue Demonstrationsgesetz aufgerufen. Es definiert die Polizei als oberste Behörde mit erweiterten exekutiven Rechten: Neben der Strafverfolgung übernimmt sie die Auslegung des Gesetzes und kann Demonstrationen reglementieren. Die Staatsanwaltschaft kann Proteste verbieten, falls sie die „Gefahr von Ausschreitungen“ sieht. Vorab kann sie entscheiden, ob eine öffentliche Versammlung zugelassen wird, bei Spontandemonstrationen Beschränkungen auferlegen. Die Polizei kann Anzahl, Route und Treffpunkt der Demonstration ändern. Der Veranstalter muss seine Kontaktdaten an die Polizeibehörde geben; er haftet persönlich für eventuelle Schäden an Personen oder Eigentum; Teilnehmer verbotener Demonstrationen sollen Freiheitsstrafen von ein bis zwei Jahren erhalten.
Ist das den Protest wert?
Vieles kennen wir von den Polizeigesetzen in Deutschland. Tatsächlich ist es eine massive Verschärfung der Rechtslage in Griechenland. Wichtig für die Beurteilung sind dabei zwei Punkte:
- Die Ausweitung der Polizeibefugnisse entspricht einem Gesetz der Militärjunta von 1971. Entsprechend verhasst ist es! Denn diese Junta war 1974 durch den aktiven Kampf der griechischen Bevölkerung gestürzt worden, worauf sie zu Recht stolz ist. Der Protest gegen das neue Polizeigesetz steht also in dieser antifaschistischen Tradition.
- Die Arbeiter-, Frauen- und Jugendbewegung in Griechenland formiert sich nach der Regierung von Alexis Tsipras neu. Dieser hatte mit seiner Regierungspartei Syriza Illusionen in das parlamentarische System verbreitet, als ob mit seiner Wahl die Probleme mit Gesundheitsversorgung, Arbeitslosigkeit, Armut usw. gelöst werden könnten. Deswegen gingen in diesen Jahren Proteste, Streiks und Demonstrationen zurück. Mit der Regierung der Nea Dimokratia unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und v.a. den Erfahrungen in der aktuellen Weltwirtschafts- und Finanzkrise nehmen die Proteste wieder zu. Gerade Arbeiterinnen, Arbeiter, aber auch die Jugendbewegung organisieren sich neu und kämpft für eine Perspektive. Dabei greifen sie auf langjährige antiimperialistische und kämpferische Erfahrungen zurück.
Das wiederum widerspricht aber den Bestrebungen von Kyriakos Mitsotakis, Griechenland als Musterland der EU und Verbündeter der USA aufzubauen. Die M-L KKE schreibt deswegen: „Die Mitsotakis-Regierung zeigte in der Praxis, was sie in naher Zukunft tun will, um die Mobilisierung der Bevölkerung zu unterdrücken, damit sie die Politik der Sparmaßnahmen, Armut und Arbeitslosigkeit auf Kosten der Arbeiterklasse und der breiten Massen verabschieden kann.“
Polizeigewalt gegen Arbeiter und Revolutionäre
Vor diesem Hintergrund ist die breite Beteiligung an der Demonstration gegen dieses Gesetz der griechischen Regierung ein Dorn im Auge. Entsprechend brachial ließ sie gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten vorgehen und setzte die Aufstandsbekämpfungseinheiten der MAT und die motorisierte DELTA ein, die mit Blitzgranaten, Chemikalien und Stöcken auf Demonstrantinnen und Demonstranten einschlugen. Es liegt nahe, Polizeiprovokationen nicht auszuschließen. Das Vorgehen ist mit mehreren Videos dokumentiert; zahlreiche Verletzte und Dutzende Verhaftungen waren die Folge. Gezielt gingen sie gegen Arbeiterdelegationen unter Führung von Revolutionären vor, wie die Partei KKE-ml berichtet.
Dennoch reagierten Arbeiterinnen und Arbeiter besonders diszipliniert. Die Gewerkschaft PAME, die der neorevisionistischen KKE zugeordnet ist, schreibt: „Gegen den organisierten Plan der staatlichen Repression und den Versuch, die Versammlung durch das Werfen von Chemikalien zu zerstreuen, gruppierten sich die Blöcke der Gewerkschaften innerhalb von Sekunden neu und kehrten zurück.“ Trotz des breiten Protests verabschiedete die griechische Regierung das Gesetz mit ihrer Mehrheit im Parlament.
Das letzte Wort
Doch ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Landesweit trifft außer dem Inhalt des Gesetzes das Vorgehen der Polizei auf Kritik. Die revolutionäre Partei KKE-ml protestiert gegen eine „Orgie staatlicher Gewalt und Unterdrückung gegen die massive Demonstration zur Verteidigung des Rechts auf Demonstration“ und ruft zu Solidaritätserklärungen auf. Auch die M-L KKE und KKE schließen sich dem Protest an. Die PAME betont, dass „die Arbeiter praktisch jeden Versuch vereiteln werden, sie zum Schweigen zu bringen, die Arbeitsplätze in Ghettos zu verwandeln und den Widerstand in eine Straftat zu verwandeln“ und fordert zur Formierung des Protests gegen das neue Demonstrations- und Streikrecht auf.
Das neue Demonstrationsgesetz in Griechenland reiht sich ein in die Rechtsentwicklung europäischer Regierungen und der EU. Dagegen gibt es europaweit Protest, der im Aufbau der antiimperialistischen und antifaschistischen Einheitsfront gebündelt und gestärkt werden muss. Der Aufbau starker revolutionärer Parteien und ihre Koordinierung und Kooperation in der revolutionären Weltorganisation ICOR sind das Gebot der Stunde – auch in Griechenland.