Massenproteste

Massenproteste

Libanon: „Wir können es nicht mehr ertragen - das ganze System muss weg!“

Nach der verheerenden Explosion eines Lagerhauses im Hafen von Beirut am Dienstag mit 157 Toten und über 5.000 Verletzten ist auch die Stimmung im ganzen Land explosiv.

Von ako
Libanon: „Wir können es nicht mehr ertragen - das ganze System muss weg!“
Protestaktion im Oktober 2019 in Beirut (Foto: Cyrusiithegreat / Eigenes Werk)

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag versuchten Demonstranten, das Parlamentsgebäude zu stürmen. Sie wurden von der Polizei gewaltsam daran gehindert. Auch am Freitag gab es Proteste.

 

Heute versammelten sich erneut Zehntausende zu einer Trauer- und Protestkundgebung auf dem Märtyrer-Platz im Zentrum Beiruts. Das Motto der Kundgebung war "Gerechtigkeit für die Opfer, Rache an der Regierung". Die Demonstranten riefen unter anderem "Wir können es nicht mehr ertragen - das ganze System muss weg", "Revolution, Revolution" und "Das Volk will den Sturz des Regimes".

 

Demonstranten stürmten das Außenministerium und erklärten es zum „Hauptquartier der Revolution“. Auch das Energieministerium und das Handelsministerium wurden gestürmt. Armee- und Polizeieinheiten drängten sie wieder zurück. Am Abend kündigte der libanesische Regierungschef Hassan Diab vorgezogene Neuwahlen an.

Massenproteste seit Monaten

 

Seit Monaten gibt es Demonstrationen, Straßenblockaden, Besetzungen, brennende Autoreifen … Im Oktober 2019 trat Regierungschef Saad Harini nach dreizehn Tagen Protest zurück. Auslöser: geplante Steuererhöhungen. Die Wut richtete sich gegen Korruption, den desolaten Zustand des öffentlichen Dienstes und die jahrelange Misswirtschaft. Sein Nachfolger, Hassan Diab, - von der reaktionären islamistischen Hisbollah unterstützt - wurde zu seiner Vereidigung im Februar 2020 mit Protesten empfangen.

 

Im April 2020 gab es trotz Corona landesweite Proteste gegen die enorme Geldentwertung. Alltägliche Lebensmittel wurden zu Preisen von Luxusartikeln gehandelt. „Der Hunger ist größer als die Angst“, entwickelte sich zum geflügelten Begriff, bezogen auf die Gefahr der Pandemie. Im Juni gab es erneut Proteste gegen den Währungsverfall.

Menschen machen Regierung für Explosion verantwortlich

 

Und jetzt, wieder zwei Monate später, die gigantische Explosion im Hafen mit der Sprengwirkung von 1.100 Tonnen TNT, was einem Zehntel der Hiroshima-Atombombe entspricht. Die Zahl der Toten stieg zuletzt auf 158, die der Verletzten auf rund 6.000. 45 Menschen werden noch vermisst, überwiegend Hafenarbeiter.

 

Die Hälfte der Stadt ist zerstört, bis zu 300.000 Menschen sind obdachlos. Zwölf Gesundheitszentren wurden beschädigt – damit ist die Versorgung für 120.000 Menschen nicht mehr gewährleistet. 80 Prozent der Getreidereserven des Libanon sind zerstört. Der Hafen kann nicht mehr benutzt werden, um notwendige Lebensmittelimporte abzuwickeln. Viele Menschen beschuldigen die Regierung, für die fahrlässige Lagerung des hochexplosiven Ammoniumnitrats verantwortlich zu sein.

 

 

Das ist „als schweres Verbrechen der Regierung gegen die Nation und das Recht des libanesischen Volkes anzusehen“, schreibt auch die Kommunistische Partei Libanon in ihrer Erklärung. Die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten nehmen nun vor allem Freiwillige in die Hand, die teilweise aus dem ganzen Land anreisen.

Steckt Hisbollah hinter der Explosion?

 

Von verschiedenen Seiten, unter anderem westlichen Geheimdiensten, wird die Hisbollah für die Explosion verantwortlich gemacht. Sie hat das mehrfach entschieden dementiert - was die Sache nicht sehr wahrscheinlich macht, hat sie sich in der Vergangenheit doch immer klar zu Anschlägen bekannt, die sie verübte.

 

Die reaktionäre, faschistoide religiös verbrämte Ausrichtung der Hisbollah ist zweifellos abzulehnen. Sie hat im Libanon allerdings durchaus eine Massenbasis - vor allem aufgrund der von ihr unterhaltenen zahlreichen sozialen und gesundheitlichen Einrichtungen.

Welchen Weg gehen die Proteste?

 

Die Kommunistische Partei Libanon nennt als Hauptaufgabe, „daran zu arbeiten, diese Regierung zu stürzen und eine unabhängige Übergangsregierung außerhalb des herrschenden Systems zu etablieren, deren oberste Priorität darin besteht, das derzeitige politische System zu liquidieren und einen modernen demokratischen Nationalstaat aufzubauen ...“ (mehr dazu)

 

Der deutsche Außenminister Heiko Maas warnte dagegen vor einer weiteren Destabilisierung des Libanon. "Wir wollen den Libanon stärken, denn diese Krise darf nicht genutzt werden, um ausländischem Einfluss in Libanon Tür und Tor zu öffnen."

Maas' geheuchelte Sorge

 

Maas' Warnung richtet sich einzig und allein gegen den Einfluss rivalisierender imperialistischer Mächte. Beanspruchen die USA und die EU unter Führung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich doch den vorherrschenden Einfluss in dem Land. Der neuimperialistische Iran mischt vor allem über die vom ihm abhängige Hisbollah im Libanon mit. Israel arbeitet mit Kräften wie der faschistischen Phalange-Miliz zusammen.

 

Es ist gerade die neokoloniale imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung, die den Libanon dahin gebracht hat, wo er heute ist. Zuletzt hatte der IWF Verhandlungen über „Reformen“ im Libanon mit der korrupten Regierung aufgenommen. Die berüchtigten IWF-"Reformen": Deregulierung, Sozialabbau, weitere Öffnung für die internationalen Monopole.

 

Die gemeinsame Sorge aller Imperialisten richtet sich dagegen, dass das libanesische Volk seine Sache in die eigene Hand nimmt und einen konsequenten antiimperialistischen Kampf aufnimmt, der sich gegen alle "ausländischen" Mächte gleichermaßen richtet.

Hilfe, Solidarität und Wachsamsamkeit erforderlich

 

Dafür hat sich in den Massenkämpfen der vergangenen Jahre ein wichtiger Verarbeitungsprozess entwickelt. Entscheidend ist, wie in diesen Kämpfen konsequent antiimperialistische und revolutionäre Kräfte gestärkt werden. Aber auch der enge Schulterschluss mit den Antiimperialisten und Revolutionären auf der ganzen Welt und insbesondere ihrer Weltorganisation ICOR.

 

Es ist von größtem Interesse für alle Revolutionäre und fortschrittlichen Menschen, die Menschen im Libanon zu unterstützen. Mit Spenden, Solidarität mit ihrem Befreiungskampf sowie wachsamem Protest gegen die Einmischung der eigenen imperialistischen Regierung dort.

 

 

Spendenaufruf für die Opfer der Explosion in Beirut/Libanon