Belarus
Einmischung von EU und Russland oder eigenständige Opposition?
„Rote Fahne News“ berichtete in den vergangenen Tagen wiederholt über die Massenproteste in Belarus gegen Präsident Alexander Lukaschenko (5. August, 11. August und 12. August.).
Der Kampf der Arbeiter und breiten Massen im Land für demokratische Rechte und Freiheiten und gegen das reaktionäre Regime von Alexander Lukaschenko ist vollauf berechtigt.
Die Artikel auf Rote Fahne News weisen nach, dass sich diese Massenkämpfe zu Recht auch gegen den fahrlässigen Umgang der Regierung Lukaschenko mit der Corona-Pandemie mit bereits rund 70.000 Infizierten richten, wogegen er ernsthaft Wodkatrinken und Saunabesuche empfiehlt, aber auch gegen die Auswirkungen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die durch die Corona-Pandemie verstärkt wird. Hierbei bildet Belarus keine Ausnahme hinsichtlich der Entwicklung zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise.
Von der Weltwirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 war Belarus nur relativ gering betroffen, jedoch brach die Wirtschaft 2015 und 2016 sehr stark ein – noch unter das Krisenniveau von 2009.
Die Beurteilung der Situation in Belarus ist kompliziert, da die widersprüchlichen Interessen von Russland, der EU und Belarus die Berichterstattung massiv beeinflussen. So wird der Ultrareaktionär Lukaschenko, der mittlerweile seit 25 Jahren im Amt ist, und noch aus der Nomenklatura der sozialimperialistischen Sowjetunion kommt, von deutschen bürgerlichen Zeitungen gebetsmühlenartig als „Europas letzter Diktator“ bezeichnet.
Damit werden ultrareaktionäre, faschistoide oder sogar faschistische Regime wie das von Viktor Orbán in Ungarn oder das von Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei völlig außen vor gelassen. Denn diese Regime braucht die imperialistische EU, während Lukaschenko in Belarus eher auf Seiten des nicht weniger autoritär regierenden Wladimir Putin in Moskau steht.
Allerdings bleiben die oben genannten Rote Fahne News-Artikel auch unkritisch gegenüber den Oppositionskandidaten. Tatsache ist, dass Belarus stark abhängig von wirtschaftlicher Unterstützung Russlands ist, zugleich aber auch die in einem Abkommen von 1997 angestrebte Vereinigung der beiden Länder nicht wirklich vorangekommen ist. Die Situation erinnert an die Ukraine, in der EU und NATO eine Ausweitung bis an die russische Grenze forcierten. Das ist bekanntermaßen von Russland mit der Besetzung der Krim und der militärischen Aggression im Osten der Ukraine beantwortet worden.
Auch Belarus ist für beide Seiten strategisches Gebiet und war in das russische Großmanöver „Sapad“ einbezogen. In russischen Medien wurde vor den Wahlen berichtet, die EU würde in Belarus einen zweiten "Maidan" provozieren. Das kann sowohl der Diskreditierung der tatsächlich stattfindenden Proteste dienen als auch auf reale Einmischung westlicher imperialistischer Staaten hinweisen.
Die Kandidatin Swetlana Tichanowskaja, von der bürgerlichen Presse der EU-Länder jetzt als die große Gegenspielerin Lukaschenkos aufs Schild gehoben, ist nach Verkündung von Lukaschenkos "Wahlsieg" nach Litauen geflüchtet. Ihre Kinder hatte sie zuvor schon in ein EU-Land geschickt, was auch nicht jedem belarussischen Bürger so einfach möglich sein sollte. Sie hatte zwar mindestens 100.000 Unterstützungsunterschriften aus der Bevölkerung und konnte so als einzige oppositionelle Kandidatin antreten. Aber hinter ihrer Kandidatur stecken EU-Interessen. Sie will zurück zur bürgerlichen Demokratie, und das Land mehr für die EU-Imperialisten öffnen, was nicht im Interesse des neuimperialistischen Nachbarn Russland ist. Tichanowskaja hat auch in der EU gearbeitet, unter anderem für sogenannte Nichtregierungsorganisationen.
Vor ca. drei Jahren hatte sich die Bevölkerung von Belarus in wochenlangen Demonstrationen gegen ein Gesetz durchgesetzt, mit dem die Arbeitslosen für ihre Arbeitslosigkeit auch noch Strafe zahlen sollten. Auch jetzt war ein erheblicher Teil der Bevölkerung in Aufruhr und hoffte auf einen Sieg Tichanowskajas bei den Wahlen. Die jetzt protestierenden Massen sehen das Wahlergebnis (80,23 Prozent für Lukaschenko und 9,9 Prozent für Tichanowskaja) als Fälschung an. Allerdings mischten auch ultrarechte Kräfte bei den Protesten mit einer Fahne mit. Sie treten mit einer Fahne aus der Zarenzeit auf. Bis 1917 gehörte Belarus zu Russland.
Eine Orientierung auf Tichanowskaja, wie sie jetzt seitens der EU massiv betrieben wird, ist rein im Interesse der europäischen Imperialisten. Dasselbe gilt für die Berichterstattung der Staatsmedien des neuimperialistischen Russland. Die jetzt kämpfenden Massen in Belarus werden zum Spielball imperialistischer Mächte werden, wenn sie sich vor diesen Karren spannen lassen.
Das Volk von Belarus muss auf die eigene Kraft vertrauen und seinen Kampf sowohl gegen die reaktionäre Regierung als auch gegen jegliche imperialistische Einflussnahme richten. Dafür sind die Proteste und politische Streiks in einem Minsker Elektrobetrieb und einem Metallurgiebetrieb ein wichtiger Ausgangspunkt. Mit der ICOR-Organisation „Roter Keil“ gibt es im Land auch eine Organisation von Revolutionären.