Flüchtlinge aus Moria
„Die Halle mit den Nähmaschinen und Stoffen ist heil geblieben“
Michalis Aiwaliotis berichtet von der Lage auf Lesbos:
Am Donnerstagabend waren insgesamt 5000 Menschen im neuen Camp, das die griechische Armee als Erstes Ersatzlager für Moria errichtet hat. Seit dem heutigen Morgen standen etwa 1000 Menschen vor dem Tor, um hineinzukommen.
Bei der Kontrolle der Flüchtlinge auf das Coronavirus wurden 135 Personen positiv getestet. Es wird ein Schnelltest gemacht. Die Flüchtlinge, die positiv getestet wurden, kommen an einen separaten Ort innerhalb des neuen Camps und müssen die Quarantänestruktur durchlaufen.
Es ist problematisch für die Flüchtlinge hier. 12.000 Menschen Frauen und Kinder vegetieren seit dem Brand auf der Straße. Die Kinder und Frauen brauchen Schutz. Zu sagen: „Nein, geht nicht rein in das neue Lager!“ wäre in der aktuellen Situation auch nicht richtig. Wir wollen aber auch kein zweites Moria. Dazu muss ein starker politischer Druck von den Massen kommen. Die Regierung in Athen verkündet täglich, dass es ein provisorisches Lager ist, welches für acht Monate in Betrieb bleiben soll. Dann würden alle von der Insel weggebracht - aufs Festland. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Im Norden wird fieberhaft nach einem neuen Gelände gesucht, um ein neues Massenlager für die EU und mit EU-Mitteln zu errichten. Das wurde auf der Insel bekannt und der politische Druck der Insulaner dagegen wurde verstärkt. Gewerkschaft und Arbeiterverbände verabschiedeten Resolutionen an die griechische Regierung, in deren Rahmen sie die sofortige Auflösung der Flüchtlingslager auf allen fünf Inseln fordern. Sie sagen, dass, wenn dies nicht passieren würde, ein Streik folgt. Auch die Regionalräte aller Fraktionen haben heute beschlossen, das sie keine Flüchtlingslager auf den Inseln wollen. Und sie fordern weiter eine proportionale Verteilung von Flüchtlingen und Migranten auf die europäischen Länder. Sie rufen alle ägäischen Insulaner zum Generalstreik auf.
Auf der Straße sieht es derzeit so aus: Es gibt eine Gruppe, die Polizei nennt sie die „Harten“, die sich in den Wäldern verstecken und die die Migranten einschüchtern bzw. daran hindern, ins neue Lager zu gehen.
Eine weitere Gruppe - so 2ooo bis 3000 Menschen – befinden sich hinter dem Supermarkt Vasilopoulos, wo vor allem Afghanen bereits ein Lager gebaut haben.
Dann gibt es eine Gruppe - geschätzte 1000 bis 1500 Flüchtlinge – die sich in den Bergen von Moria aufhält. Das sind Flüchtlinge, von denen die meisten in zweiter Instanz abgelehnt wurden. Sie haben Angst davor, in das Camp zu kommen. Die Angst, dass sie gefasst werden und abgeschoben werden, ist berechtigt.
Es wird zu einer Jagd auf diese Menschen kommen. Nicht zum Spaß sind spezielle gepanzerte Fahrzeuge in Mytilene stationiert. Mächtige Polizeikräfte sind im Hafen von Mytilene mit der Fähre von Kavala gekommen. Fünf bis sechs weitere MAT-Züge mit der gleichen Anzahl von Käfigen und speziellen gepanzerten Fahrzeugen - gepanzerten Wasserwerfern - sind dort. 300 Polizisten wurden aus dem Festland auf die Insel gebracht. Sie werden für die Bewachung des Lagers zuständig sein.
Ich verhandle mit den Verantwortlichen in Athen, dass keiner, der ins neue Lager kommt, abgeschoben werden darf. Eine mündliche Bestätigung habe ich erhalten. Aber ich brauche sie schriftlich. Mündliche Aussagen - die kennt man ja. Heute so, morgen anders.
Heute haben wir einen Bus gemietet, mit dem wir den ganzen Tag herumfahren und die Leute - die kommen wollen - zum Lager bringen. Wir machen das, damit sie mit ihren wenigen Habseligkeiten nicht kilometerweit laufen müssen. Wir haben in den letzten Tagen Lebensmittel, Wasser und Decken an die Flüchtlinge verteilt. Morgen haben wir wieder den Müllwagen und machen die Straßen sauber.
Wir haben im neuen Lager auch Zelte bekommen, in denen wir Werkstätten einrichten können. Es ist verrückt: Alles hat in Moria gebrannt, aber die Halle, wo wir die Nähmaschinen und die Stoffe hatten, ist heil geblieben. Wir werden das Material in den nächsten Tagen holen und aufbauen. Die Zelte sind gut und stabil, aber lass es regnen - das wird ein Matsch werden.
Ebenfalls gibt es keine Betten oder Matratzen. Die Leute schlafen auf dem Boden. Wir überlegen, Holzpaletten zu organisieren. Weiter ist wichtig, Regenmäntel oder hohe Schuhe zu haben. Da sind wir in Beratung und in den nächsten Tagen melde ich mich.