Persönlicher Diskussionsbeitrag zu 30 Jahren Wiedervereinigung
Ist der 3. Oktober ein Grund zum Feiern?
Seit nun 30 Jahren wird immer wieder betont, was in der DDR schief gelaufen ist. Unter unterschiedlichen Vorzeichen in wirklich allen Blättern. Die einen schreiben vom Zusammenbruch des bürokratischen Kapitalismus, die andern werden nicht müde, das Ende des Sozialismus zu betonen. Diese Zeilen hier dienen nicht dem Zweck, diese verschiedenen Argumente und Sichtweisen zu bewerten.
Eine kritische Verarbeitung der Erfahrungen in der ehemals sozialistischen DDR sind dringend nötig, wie es auch in dem Rote Fahne News-Artikel "30 Jahre wiedervereinigtes Deutschland - Wo stehen wir?" richtig betont wird. Aber nicht nur das.
Bewerten möchte ich was anderes:
Zunächst: Ich sehe nach wie vor die (sogenannte) Wiedervereinigung mit gemischten Gefühlen. Es gibt positive Seiten, so auch, dass die Arbeiterklasse in Ost und West die Möglichkeit hat, gemeinsam die unterschiedlichen Erfahrungen in zwei Gesellschaftssystemen auszuwerten.
Es sind im persönlichen Leben neue Freundschaften entstanden, neue Verbindungen von Menschen untereinander, sei es gesellschaftlich, in Vereinen, Gewerkschaften, Parteien … sei es im privaten Leben. Auch ich möchte da vieles nicht missen. Langjährige Freundschaften würde es für mich nicht geben, weil die Freunde aus der ehemaligen BRD sind.
Es gibt aber auch negative Seiten, und das nicht zu knapp. Viele Existenzen in der seit dem 3. Oktober 1990 ehemaligen DDR wurden vernichtet, Menschen in die Perspektivlosigkeit getrieben. Manch einer, der in der DDR ohne Ende gearbeitet hat, verlor jetzt den Boden unter den Füßen. Manch einer hatte nicht die Kraft für einen Neuanfang. Ich denke mit Schmerzen daran, dass ich ehemalige Kollegen dann nach paar Jahren wiedergesehen habe, aber wie: Sie haben früher - wie gesagt - mit aller Kraft gearbeitet und waren jetzt, durch die teils verbrecherischen Methoden der Unternehmer und Politiker und der Treuhand aus dem Westen ins Nichts gestoßen worden. Sie sind mangels Kraft und aus Verzweiflung als Säufer an der Flasche gelandet.
Weil sie sahen, wie das, was sie geschaffen hatten, zerschlagen wurde, weil DDR-Abschlüsse nicht anerkannt wurden und dadurch gute DDR-Ausbildungen zum Teil als Null und nichtig abgetan wurden, weil die Ex-DDR zum Billiglohnland wurde, was sie bis heute ist, bewusst von Regierung und Firmen (nicht nur den Monopolen) am Leben gehalten, usw.
Auch das sind Schicksale, die ein Ergebnis der Wiedervereinigung sind und die in der Presse, wenn überhaupt, auch unterschiedlich gesehen werden. Während ich zu dieser Seite der "Vereinigung" in den Ausgaben der Roten Fahne (ich habe nicht jede in den 30 Jahren gelesen, muss ich dazu sagen) noch nie ein Wort gefunden habe, habe ich in andern Blätter á la Bild Kommentare gefunden, die für diese Opfer der Vereinigung nur Verachtung übrig haben, sie als „Assis“ abstempeln.
Insgesamt sollte jetzt, 30 Jahre nach der Vereinigung, auch mal angefangen werden, nicht nur die DDR genau unter die Lupe zu nehmen, sondern die übelsten Methoden der Westkonzerne, die den Osten platt machten, genau zu benennen und nicht nur in allgemeinen Formulierungen.
Auch die nach wie vor bestehenden Unterschiede im Lohnniveau u. ä. sind eine negative Seite. Und eine weitere negative Seite ist die, dass von allen Seiten nach wie vor von „neuen“ Bundesländern geredet wird. Ein spalterischer Begriff, der nach wie vor auch von Menschen gebraucht wird, die sich selbst als fortschrittlich sehen.
Ist der 3. Oktober ein Grund zum Feiern?
Auch die MLPD bejaht das und benennt, warum sie das feiert. Ich akzeptiere, wenn manche den 3. Oktober feiern, sicher aus unterschiedlichen Gründen. Ich sehe - wie gesagt - auch die positiven Seiten, die dem 3. Oktober 1990 folgten. Und trotzdem sage ich offen: Ich feiere den 3. Oktober nicht.