Polen

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Ein neuimperialistisches Land auf dem Weg in eine gesamtgesellschaftliche Krise

Polen vollzog inzwischen den Sprung zu einem neuimperialistischen Land. Es exportiert jährlich ca. 30 Mrd. US-Dollar Kapital und hat eine Reihe internationaler Monopole. Eine eigene elektrische Auto-Marke („Izera“), eine eigene Gas-Pipeline nach Norwegen und das erste eigene Atomkraftwerk (ab 2033) soll diesen Anspruch ausbauen. Polen organisiert ein jährliches Wirtschaftsforum (das „Davos des Ostens“) und gründete im Juli zusammen mit Litauen und der Ukraine das „Lubliner Dreieck“.

Von tt
Ein neuimperialistisches Land auf dem Weg in eine gesamtgesellschaftliche Krise
Schon seit Jahren wehren sich auch Frauen gegen die reaktionäre Politik der polnischen Regierung - wie hier 2017 in Warschau (foto: Kuba Bozanowski)

„Polen-First“-Politik der PiS-Regierung befeuert fortschrittlichen Stimmungsumschwung

Typisch für ein neuimperialistisches Land ist die aggressive Außen- und ultrareaktionäre Innen-Politik, die in Polen vor allem auf besonders offen reaktionären Antikommunismus beruht. Zur Gewinnung der Massen für diesen Kurs wird der gewonnene finanzielle Spielraum auch für soziale Zugeständnisse eingesetzt. Eine 13. Rente wurde gezahlt und Schuldgeld zur Einschulung. Der Mindestlohn wurde erhöht und die PiS-Partei verspricht, ihn bis 2023 auf 910 Euro anzuheben. Das Kindergeld wurde 2016 von 10 Euro auf umgerechnet 120 Euro ab dem zweiten Kind erhöht und wird seit 2019 auch ab dem ersten Kind gewährt, was vor allem in kinderreichen Familien oft dazu führt, dass Frauen zu Hause bleiben. Das ist verbunden mit der Propagierung konservativer „Werte“, was nichts anderes ist als Rückschritte auf dem Weg zur Befreiung der Frau und Ausdruck der frauenfeindlichen Politik der PiS-Partei.

 

Bereits vor vier Jahren wollte die Regierung ein Totalverbot von Schwangerschaftsabbrüchen sowie Haftstrafen für Frauen und Ärzte durchsetzen. Dagegen streikten rund 200.000 Frauen brachten der Regierung eine Niederlage bei.

 

Nun versucht es die Regierung erneut und befeuert damit seit einigen Wochen Proteste im ganzen Land (siehe Rote Fahne News!). Am bisherigen Höhepunkt, dem 28. Oktober, beteiligten sich beim „Allpolnischen Frauenstreik“ bei 410 Aktionen landesweit 430.000 Menschen.

 

Die Regierung ist ziemlich in der Defensive, nur 11 Prozent befürworten das neue Gesetz. Sie betreibt umso aggressiver antikommunistische Hetze und vergleicht die Symbole der Protestbewegung mit denen der „Hitler-Jugend und der SS“¹, um die Massen zu verwirren und die Proteste zu isolieren.

Faktoren für die Herausbildung einer gesamtgesellschaftlichen Krise mehren sich sprunghaft

In dieser Situation entfaltet sich die Corona-Pandemie in Polen mit inzwischen 28.000 täglichen Neuinfektionen unkontrolliert. Medien berichten von einer „Totalen Überlastung des Gesundheitssystems“²

 

Laut der bürgerlichen FAZ gleicht die Situation in Polen dem „Auge des Orkans“.³ Die Marxisten-Leninisten drücken es wissenschaftlicher aus: Es mehren sich sprunghaft die Faktoren für die Herausbildung einer gesamtgesellschaftlichen Krise, das heißt für „ein umfassendes Krisengeschehen. Sie kennzeichnet tief greifende Erschütterungen der ökonomischen Basis und des politischen Überbaus.“⁴

 

Ein wichtiger Prozess ist die Loslösung von der katholischen Kirche, der in Polen 86 Prozent angehören und die maßgeblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben hat. Mit ihrer offenen Verteidigung des Abtreibungsverbots isoliert sie sich von den Massen. In den letzten Jahren war ihr Image bereits angekratzt - angesichts der Aufdeckung von Missbrauchsfällen der letzten Jahrzehnte. Mindestens 382 Fälle musste sie selbst zugeben.⁵ Für viele besonders erschütternd war die Nachricht, dass sich Pfarrer Henryk Jankowski an Kindern vergangen haben soll. Er war ein führendes Gesicht der Solidarność-Bewegung, predigte vor streikenden Arbeitern der Danziger Lenin-Werft. Ein für ihn errichtetes Denkmal in Danzig wurde inzwischen demontiert.⁶

 

Die Umfragewerte der PiS sind aktuell um 10 Prozent eingebrochen⁷ und ob die sozialen Versprechungen angesichts der Weltwirtschafts- und Finanzkrise alle eingehalten und aufrechterhalten werden können, wird sich zeigen. Die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse und die Massen in Polen wird ihre Rebellion herausfordern, wofür u. a. die 138.000 Bergleute wichtig sind, die kritisieren, dass die Regierung sie behandelt wie die „Melkkuh Polens“.⁸ Die Frauenbewegung wirkt dabei jetzt schon als Bindeglied zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Protestbewegungen.

 

Die vordringlichste Aufgabe, der Neuaufbau einer marxistisch-leninistischen Partei, ist angesichts der komplizierten Geschichte in Polen, mit der Errichtung einer sozialfaschistische Diktatur durch die Revisionisten in den 1980er-Jahren nicht einfach. (Siehe „Polen Aktuell Nr.1-3“9) Aber haben sich Revolutionäre je von Aufgaben – und seien sie noch so schwer – abschrecken lassen? Von Aufgaben, die wichtig sind? Nein! Es sind genau die richtigen!