Kritischer Leserbrief

Kritischer Leserbrief

Neun Elemente der Arbeiteroffensive sind der Maßstab!

Die „Rote Fahne Redaktion“ erreichte ein kritischer Leserbrief von Peter Borgwardt aus Stuttgart.

Von gp
Neun Elemente der Arbeiteroffensive sind der Maßstab!
Bild von einer Betriebsversammlung bei Opel in Rüsselsheim 2018 - Mutige Kolleginnen und Kollegen protestieren auf der Bühne (rf-foto)

Er kritisiert unter der Überschrift „Hauptsache kämpfen?“ zu Recht, dass in den Artikeln auf Rote Fahne-News zu Daimler „wenig mit den grundlegenden Merkmalen der Arbeiteroffensive argumentiert“ wird. Er macht dies beispielhaft an dem Artikel auf Rote Fahne News vom 7. Oktober fest. Aufgrund eines Fehlers der Rote Fahne-Redaktion, wurde der Leserbrief nicht sofort veröffentlicht und selbstkritisch dazu Stellung genommen. 

"Hauptsache kämpfen?"

Peter Borwardt schreibt  "Ich finde es gut und wichtig, dass Rote Fahne News kontinuierlich über die Entwicklung der Auseinandersetzung bei Daimler berichtet, die Konzernpläne aufdeckt und angreift und über Fragen, Diskussionen und Aktivitäten der Konzern-Belegschaft informiert. Warum aber wird so wenig mit den grundlegenden Merkmalen der Arbeiteroffensive argumentiert? Sie sind im Parteiprogramm der MLPD auf den Seiten 107 bis 110 benannt und bedürfen insbesondere in der gegebenen Situation der schöpferischen Aneignung und Anwendung. Auch in dem Buch 'Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution' von Stefan Engel wird ausführlich auf diese Thematik eingegangen (siehe ab S. 400 ff).

 

Eingangs heißt es dazu: 'Die Strategie und Taktik der Arbeiteroffensive ist das zentrale Element der allgemeinen Strategie und Taktik des Übergangs von der Etappe der nichtrevolutionären Situation zur Etappe der revolutionären Situation im Klassenkampf.' (S.406)

 

Geht man alle grundlegenden Merkmale des Übergangs zur Arbeiteroffensive auf den dann folgenden Seiten durch, wird klar, dass es hier nicht allein um 'harte Kämpfe' geht, und schon gar nicht als 'einzige Antwort'.

 

Genau so aber formuliert es ein Artikel auf Rote Fahne News vom 7. Oktober: 'Wenn man sich die aggressive Wortwahl des Daimler-Vorstands ansieht, dann wird deutlich: Keiner sollte sich Illusionen machen: Harter Kampf ist die einzige Antwort, die Daimler versteht. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!' Nachfolgend wird aus einer Resolution zitiert, in der es heißt: 'Wir müssen überlegen, wie wir einen Streik organisieren können. Nur so können wir unsere Interessen durchsetzen.'

 

So wichtig Kämpfe sind, so sind sie es doch vor allem deshalb, weil sich im Kampf das Klassenbewusstsein am besten entwickeln kann, sofern es sich mit der systematischen Kleinarbeit der revolutionären Partei durchdringt. Kämpfe nur für Tagesforderungen zu führen bzw. in Richtung 'Hauptsache kämpfen' zu argumentieren, wird dagegen von der MLPD als Tendenz zur Anbetung der Spontaneität kritisiert. Harte Kämpfe und Streiks können durchaus Schritte zur Arbeiteroffensive sein, niemals aber die 'einzige Antwort' oder das Mittel, um 'unsere Interessen' durchzusetzen. Dazu bedarf es der Höherentwicklung zum Klassenkampf im eigentlichen Sinn, indem 'die Kämpfe der Arbeiterklasse einen die Gesellschaft verändernden Charakter annehmen und die Arbeiterklasse ihre strategische Offensive gegen die Diktatur der Monopole beginnt.' (Programm S. 107)

 

Worauf es in diesem Zusammenhang ankommt, ist, den 'Kampf um wirtschaftliche, ökologische und politische Teilforderungen als Schule des Klassenkampfes' (Programm S. 114) zu führen, was allerdings bereits unterhalb der Schwelle eines konzernweiten Streiks notwendig ist. Zwar ist die Losung des konzernweiten Streiks, wie sie in vielen Rote Fahne News-Beiträgen der letzten Tage ausgeführt wird, unbedingt zu unterstützen, aber es muss auch beachtet werden, wie sich solche Massenkämpfe aus Einzelkämpfen heraus entwickeln und entfalten können.

 

In dem Buch 'Morgenröte' heißt es dazu: 'In der Regel können Kämpfe in einzelnen Betrieben leichter ausgelöst werden. Mit solchen Teilkämpfen müssen Massenkämpfe vorbereitet werden. Diese erfordern, vor allem wenn sie branchen- oder konzernübergreifenden Charakter haben, ein höheres Klassenbewusstsein. Aber die Erfahrungen in Einzelkämpfen lassen die Argumente überzeugender wirken, zu Massenkämpfen im ganzen Konzern überzugehen und auch länderübergreifend zu kämpfen.' (S.411)

 

... Die Strategie und Taktik der Arbeiteroffensive (erweist sich) als Kettenglied, das es gerade jetzt zu studieren, zu propagieren und zu organisieren gilt."

 

Diese Kritik ist berechtigt. Nach einer Phase, in der unter anderem durch die negativ ausgerichtete Klassenzusammenarbeitspolitik aber auch den Verzicht auf offene Angriffe durch die Monopole Arbeiterkämpfe tendenziell eingeschränkt waren, war es richtig, diese selbstbewusst auf die Tagesordnung zu setzen. Das darf aber nicht dazu führen, sie aktionistisch im Sinne von "Hauptsache kämpfen" zu befeuern. Entscheidend ist und bleibt, dass sie eine Schule des Klassenkampfes werden und das Klassenbewusstsein sich darin weiter entwickelt. Um zu kämpfen ist wiederum die Bewusstseinsbildung, wofür , mit wem und mit welcher Perspektive gekämpft wird, ausschlaggebend.

 

Rote Fahne News brachten durchaus eine Reihe richtiger Artikel und Argumente zu einzelnen Aspekten wie zur 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, zum Kampf gegen den Antikommunismus in diesen Klassenauseinandersetzung, zu den materiellen Hintergründen für die Angriffe usw. Aber was fehlte war  (außer einer unkommentierten Darstellung der Elemente der Arbeiteroffensive aus dem Parteiprogramm) eine systematische und allseitige Verankerung dieser Elemente und die Entfaltung des Kampfes um die Denkweise darum.

 

Im Parteiprogramm der MLPD wird die Arbeiteroffensive als führender Faktor der gesellschaftsverändernden Bewegung für eine befreite Gesellschaft definiert. Hier noch einmal im Gesamtzusammenhang:

  • Der Kampf um Tagesforderungen und Teillosungen muss auf offensive Art geführt werden, um ihn höherentwickeln zu können. Ausgehend vom Kampf um jeden Arbeitsplatz muss die Arbeiterklasse die Arbeitslosigkeit auf Kosten der Profite der Monopole bekämpfen.
  • Der ökonomische Kampf muss die soziale und ökologische Frage umfassen und mit dem politischen Kampf verbunden bzw. in den politischen Kampf übergeleitet werden. Nur so können die Arbeiter begreifen, wie ihre Erfahrungen mit der betrieblichen Ausbeutung und Unterdrückung untrennbar zusammenhängen mit der rücksichtslosen Ausbeutung der Natur, dass beides Ausdruck der Diktatur der Monopole ist und dass der Staat das entscheidende Herrschaftsinstrument der Monopole ist. In den Mittelpunkt der politischen Forderungen muss der Kampf um demokratische Rechte und Freiheiten gerückt werden.
  • Der Kampf zur Befreiung der Arbeiterklasse und zur Befreiung der Frau muss identisch werden.
  • Die Arbeiterkämpfe müssen den Kampf um die Lösung der sozialen Frage mit dem Kampf um die Lösung der Umweltfrage verbinden.
  • Der Motor des Übergangs zur Arbeiteroffensive ist die Einheit von Jung und Alt.
  • Die Einzelkämpfe müssen zu Massenkämpfen zusammengefasst und höherentwickelt werden. Die Arbeiter werden eine überlegene Kraft, wenn sie als Klasse Denken, Fühlen und Handeln. Deshalb ist der Kampf zur Überwindung jeglicher Spaltung und die Organisierung der Klassensolidarität, die Entwicklung branchen- und konzernübergreifender Aktionen und der Einsatz der ganzen Kampfkraft der Arbeiterklasse von grundlegender Bedeutung für die Höherentwicklung des Klassenkampfs. Streiks müssen mit Demonstrationen und anderen Kampfformen verbunden werden, damit sie in einen allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhang rücken.
  • Gegebenenfalls muss der gewerkschaftliche Rahmen durchbrochen werden, und die Arbeiterklasse muss zu selbstständigen Kämpfen übergehen. Sie sind der Maßstab für die Entwicklung der politischen Klassenselbstständigkeit der Arbeiterklasse.
  • Die Arbeiterklasse muss mit dem gesellschaftlich organisierten System der kleinbürgerlichen Denkweise fertigwerden, damit sie ihr Klassenbewusstsein entfalten kann und sich ihre Kämpfe zum Klassenkampf im eigentlichen Sinn höherentwickeln können.
  • Die Arbeiterkämpfe im nationalen Rahmen müssen gegebenenfalls länderübergreifend ausgedehnt werden. So werden sie zur Schule der internationalen Arbeitereinheit und der Vorbereitung der internationalen Revolution. …

 

Der Übergang einer ganzen Reihe von internationalen Monopolen zu offenen Angriffen auf die Konzernbelegschaften macht nötig, mit der Losung "Arbeiteroffensive statt Monopoloffensive" systematisch und allseitig den Übergang zur Arbeiteroffensive auf breiter Front zu entfalten. Das heißt auch, sie schöpferisch anzuwenden. So muss sich der Angriff auf das System der kleinbürgerlichen Denkweise heute vor allem auf den modernen Antikommunismus beziehen. Er wird in den Betrieben vor allem zur Isolierung der klassenkämpferischen Kräfte eingesetzt. Er soll verunsichern und spalten. Der Prozess damit fertig zu werden setzt dagegen Kräfte und Perspektiven frei und stärkt durch die weltanschauliche Offenheit unter Ausschluss von Faschisten die Einheit der Belegschaft.

 

Die Taktikänderung von Daimler zu offenen Angriffen auf die Belegschaft richtet sich nicht nur gegen die Belegschaften, sondern berührt genauso die Frage des Umweltschutzes und die Arbeiterfamilien. Auch unter den Automobilarbeitern ist das Umweltbewusstsein gewachsen, was unter anderem darin zum Ausdruck kommt, dass eine wachsende Zahl von Kolleginnen und Kollegen den Ausstieg aus der fossilen Antriebstechnologie richtig findet. Trotzdem hat die Argumentation, dass der Ausstieg aus den fossilen Verbrennungsmotoren Ursache für die Arbeitsplatzvernichtung ist, doch noch bei einem ganzen Teil der Kolleginnen und Kollegen eine Wirkung und sie steht einem konzernweiten Kampf entgegen! Dass angeblich die Politik und die Umweltschutzauflagen für die Arbeitsplatzvernichtung verantwortlich sind, ist das Hauptargument der Vorstände bis hin zu ultrareaktionären und faschistischen Kräften zur Verankerung sozialchauvinistischer Positionen: Konzerne und Belegschaften müssten sich „gemeinsam“ wehren.

 

Es ist aber so, dass nur in Einheit vom Kampf um die Arbeitsplätze mit dem Schutz der natürlichen Umwelt sich heute das Klassenbewusstsein auf das nötige Niveau weiterentwickeln kann.

 

Peter Borgwardt weist zu Recht darauf hin, dass ein konzernweiter Streik ein Prozess ist, ein Übergang von Einzelkämpfen zu Massenkämpfen, der Übergang von defensiven Forderung wie der offensiv geführte Kampf um jeden Arbeits- und Ausbildungsplatz zur offensiven Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich! Darüber wird bereits intensiv diskutiert. Wie ordnet sich die Losung für den Kampf um die 30 Stundenwoche bei vollem Lohausgleich aber ein? Der Kampf um jeden Arbeits- und Ausbildungsplatz muss auch um eine offensive Ausrichtung verbunden werden, wie die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Darauf ist die Forderung nach 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, also auf Kosten der Profite, die entscheidende Antwort. Rein rechnerisch können damit Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

 

Damit es zu einem konzernweiten Streik kommt, muss sich das Klassenbewusstsein insgesamt höher entwickeln, was sich vor allem in einer höheren Organisiertheit ausdrückt: In den Gewerkschaften als Kampforganisationen, der Arbeiterplattform im Internationalistischen Bündnis, im Kampf gegen die Rechtsentwicklung der Regierung, in internationalen Organisationsformen zur internationalen Koordinierung der Arbeiterkämpfe wie beispielsweise der IAC⁴ und der revolutionären Arbeiterpartei MLPD als führender Kraft.

 

Mit der Losung: „Selbständiger Streik“ war grundsätzlich auch die Frage der demokratischen Rechte und Freiheiten aufgeworfen: „Warum kann das nicht die IG Metall machen?“ „Werden wir dann gekündigt?“ "Warum wird der Arbeiterklasse das Grundrecht auf Streikrecht verwehrt?" "Was sagt das über die politischen Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft aus?" Die Forderung nach einem vollständigen und allseitigen gesetzlichen Streikrecht gehört fest zur Bewusstseinsbildung in den Kämpfen der Arbeiterklasse, weil nur so die Arbeiterklasse selbstbewusst klären kann, in die Offensive zu gehen.

 

Die Kritik ist Ansporn, die insgesamt erfolgreiche Arbeit bei Daimler und anderswo kritisch und selbstkritisch am Maßstab des Übergangs zur Arbeiteroffensive zu überprüfen.