Die Geschichte wiederholt sich
Zur Fingerabdruck-Pflicht
Was bei der Bevölkerung unpopulär ist, durch Berufung auf Brüssel einführen: Dieser Trick, bekannt von der ersten Durchsetzung der Vorratsdatenspeicherung 2007, war bei der am vergangenen Donnerstag spät abends vom Bundestag beschlossenen Pflicht zur Abgabe von Fingerabdrücken für alle Bürgerinnen und Bürger wieder zu bewundern.
Dabei fällt es fast schwer, die Empörung aufzubringen, die gegen diesen bürgerrechtlichen Dammbruch eigentlich angebracht wäre, denn mit EURODAC und VIS setzt die EU Daktyloskopie schon seit Jahren gegen Menschen ohne passende Staatsbürgerschaft ein. Dass dies nun auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger zurückfällt, könnte geradezu als Fluch der Gleichgültigkeit angesehen werden.Dennoch: Hier findet der nächste Schritt zur Umkehrung der Beweislast statt.
Wir alle hinterlassen überall Fingerabdrücke. Wird ein Fingerabdruck am falschen Ort gefunden – beispielsweise an einem ohne Genehmigung geklebten Plakat oder einem Stück Klebeband an einem kritischen Transparent vor einem Parteibüro – „und kann zugeordnet werden“, werden sich die fraglichen Personen dem vollen Spektrum polizeilicher Maßnahmen von Vorladung über Hausdurchsuchung bis Gewahrsamnahme oder Untersuchungshaft ausgesetzt sehen.
Die beschlossenen Maßnahmen reichen dafür noch bei weitem nicht. Doch, die Geschichte wiederholt sich: Die biometrischen Ausweisfotos, die anfangs, wie jetzt die Fingerabdrücke, auch nur zur Authentifikation der Ausweise dienen sollten, sind mittlerweile im Online-Zugriff der Behörden und werden eingestandenermaßen in gesichtserkennenden Kameras eingesetzt. Wie viele kleine Krisen werden die Behörden brauchen, um nach und nach die Beschränkungen der Nutzung der nun bevölkerungsweit erfassten Fingerabdrücke abzubauen?
Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. merkte dazu an: „Sollten wir es in den nächsten Jahren wirklich nicht schaffen, diesen Übergriff zurückzudrängen, sage ich voraus, dass die Polizeien bei Ausweiskontrollen angetroffene Fingerabdrücke mit Fahndungsdaten werden abgleichen wollen. Die Forderungen werden fast sicher sogar kommen, noch bevor nach EU-Rechtslage fingerabdrucklose Personalausweise 2031 ungültig werden. Und da die SPD schon dem heute verabschiedeten Gesetz nichts entgegengesetzt hat, wird sie auch diesen Forderungen nichts entgegensetzen können.“
Sie führte weiter aus: „Die Alternative wäre ganz einfach: Die Bundesrepublik hat zehn Jahre Zeit, die unselige EU-Vorordnung zu kippen oder sich zumindest eine Ausnahmeregelung geben zu lassen, wie sie für Länder ohne Identitätskarten ohnehin schon besteht. Das braucht keine Revolution und auch keinen Koalitionsbruch. Das braucht nur einen Hauch Instinkt für Menschenrechte.“