Corona
Schüler fordern Gesundheitsschutz und Bildung – Mini-Demonstration im Klassenzimmer
Schulbeginn: Ich nutze die ersten zehn Minuten der Stunde um die Klasse erneut auf die Gefahren durch Corona hinzuweisen, dass sich Schulen zunehmend zu Treibern der Pandemie entwickeln, dass 300.000 Schüler in Quarantäne sitzen, dass die Ansteckungsgefahr groß ist, dass das Virus große Gesundheits-Gefahren birgt. Auch wenn ich gut verstehe, dass sie sich rangeln und messen wollen, haben wir alle zusammen Verantwortung für unsere Familien, Freunde, Mitschüler und Kollegen – wir sitzen gemeinsam in einem Boot.
Es entbrennt eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der aktuellen Corona-Maßnahmen: In Bussen eng beieinander, in den Klassen getrennt, man friert und wird krank. Aber die Antwort kann ja nicht sein, wie bei den „Querdenker-Demos“ - auf Gesundheit zu pfeifen und die Masken in die Ecke zu werfen. Wir diskutieren, dass wir uns im Gegenteil für mehr Gesundheitsschutz einsetzen müssten, trotzdem Schulbildung brauchen und die Schulbildung auch nicht auf die Familien mit reinem Homescooling abgewälzt werden darf. Die Kinder haben selbst schnell viele gute Ideen: mehr Busse, leerstehende Räume als Klassenräume nutzen. Wir versuchen zu schätzen, wie viele Klassen es in Deutschland wohl gibt (rund 300.000 bis 400.000), wie viel leerstehende Wohnungen (750.000) und Bürogebäude (3,5 Prozent aller Büros ist leer) und was es kosten würde für jede Klasse eine Lüftungsanlage (je 3000 Euro) zu besorgen. Ein Schüler zieht den Vergleich zu den Rettungspaketen für die Lufthansa. Eine Schülerin schlägt vor, dass Busse zweimal fahren könnten, wenn manche Klassen erst später mit dem Unterricht beginnen. Zwei Schülerinnen sind Feuer und Flamme und schlagen vor, dass wir selbst demonstrieren sollten. Was Corona-Leugner können, können wir schon lange. Sie wollen zum Rektor, zum Busunternehmen, … die ganze Klasse ist auf einmal wie ausgewechselt.
Ich sichere ihnen meine Unterstützung zu, erkläre aber, dass eine Demonstration guter Vorbereitung bedarf. Sie muss unter Corona-Bedingungen stattfinden – das braucht ein Konzept. Man muss sich vorbildlich benehmen, wenn man ernst genommen werden will. An wen will man sich wenden? Das wissen auch die Lehrer und Rektoren oft nicht so recht. Der Rektor, Eltern und Lehrer sitzen mit den Schülern im Boot – man muss versuchen möglichst viele fürs Mitmachen zu gewinnen oder die SV gewinnen. Und man muss vorbereitet sein, denn es wird auch andere Meinungen geben. Lehrer dürfen außerdem nicht so einfach in ihrer Arbeitszeit demonstrieren gehen. Aber ich darf ihre Initiativen unterstützen und verspreche das auch zu tun, wenn sie zum Beispiel mit der Schülervertretung einen Plan schmieden wollen. Ich schlage vor, dass sie zum üben ja alle ein Schild malen könnten - mit ihren eigenen Forderungen. Sofort rennt einer zum Kunstraum, holt Pappschilder. Ein anderes schnappt sich den Besenstiel.
Die kleine Miniaktion ließ direkt die Wellen hochschlagen. Die Eltern fanden es mehrheitlich super, die Schüler anderer Klassen erst recht, befreundete Lehrer und Eltern ebenfalls. Einige wenige Kollegen allerdings übertrieben vehement mit Vorwürfen, sprachen von Indoktrination und Populismus und schulschädigendem Verhalten. Bei solchen haltlosen Vorwürfen klärte sich der Hintergrund schnell: „Man kann eh nichts machen, das ist alles nicht umsetzbar“ usw. Dabei hatten die Schülerinnen und Schüler gerade das Gegenteil bewiesen.
In der ganzen Auseinandersetzung empört mich am meisten, dass die Kids selbst bessere Vorschläge bringen, als sie von der Politik umgesetzt werden. Die Probleme wären alle lösbar – wenn wir sie denn lösen dürften und über die Mittel verfügen dürften. Ich kann kaum sagen wie stolz ich auf meine „Chaos-Truppe“ aus der 8 bin. Wir können und müssen auf unsere Jugend vertrauen!