Daimler
Kämpfen bis der Betrieb kaputt ist?
Kürzlich hörte ich von Kollegen aus Sindelfingen, dass es bei Daimler einige Betriebsräte geben soll, die vor der MLPD warnen. Die ließe jedes Augenmaß vermissen, lehne Verhandlungen ab, rufe immer nur zum Kampf auf, bis am Ende dann der Betrieb kaputt sei.
Irgendwie kam mir das bekannt vor und ich begann zu recherchieren. Im Archiv der „Stuttgarter Zeitung“ wurde ich fündig. In deren Ausgabe vom 12. Juli 2017 findet sich ein ausführlicher Artikel über den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden des Stuttgarter Stammwerkes in Untertürkheim, Wolfgang Nieke. Überschrieben mit: „Ein Freund klarer Worte“.
Nieke, damals gerade 60 geworden, zieht in dem Artikel ein Fazit seiner Betriebsratsarbeit an „vorderster Front“. Am Schluss konfrontierte ihn der Redakteur mit der Kritik an seinem „Kuschelkurs“, denn es gäbe auch im Betriebsrat „Streit mit Gruppierungen“, denen er nicht „kämpferisch genug“ sei. Ungenannt, aber dennoch offensichtlich schienen die „Offensiven Metaller“ gemeint. Folgendermaßen geht es weiter:
„Nieke überlegt im Gespräch länger, wie er auf das Thema reagieren soll, sagt dann aber in aller Ruhe: 'Man muss beides können, auf den Putz hauen und mit dem Vorstand reden. Wenn Gesprächsebenen abbrechen und nicht mehr funktionieren, dann bekommt man auch als Betriebsrat nichts mehr geregelt.' Wohin ein betont kämpferischer Kurs führen kann, das zeigt ihm das Beispiel Opel in Bochum. 'Was ist von dem Werk geblieben?', fragt er. „Ich kenne Betriebsräte, die heute arbeitslos sind. Wenn nach wochenlangem Kampf die Arbeitsplätze und die Firma weg sind, dann hat es sich nicht gelohnt.“ (StZ, 12.07.17)
Als besagter Artikel erschien, ging es bei Daimler gerade mal wieder um die sogenannte „Zukunftssicherung“, bei der nach Vereinbarung zwischen Werkleitung und Betriebsrat bis 2029 betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden sollten. Sie galt auch über Daimler hinaus als Vorzeige-Vereinbarung und Nachweis, dass man auch ohne „betont kämpferischen Kurs“ viel für die Kollegen herausholen kann.
Drei Jahre später ist jenes Papier Makulatur, betriebsbedingte Kündigungen werden seitens der Daimler-Chefs längst nicht mehr ausgeschlossen. Dazu mussten sie die Vereinbarung im Prinzip gar nicht mal brechen, denn in ihr befindet sich eine „Wind- und Wetterklausel“. Sie beinhaltet nicht mehr und nicht weniger, als dass neu verhandelt werden muss, wenn erhebliche Veränderungen in der wirtschaftlichen Lage eintreten. Und mit der gegenwärtigen Weltwirtschafts- und Finanzkrise in Verbindung mit der Corona-Pandemie ist eine solche natürlich gegeben. Nur: Darüber wurde von Betriebsräten wie W. Nieke nie groß geredet. Immer tat man so, als wäre der Vertrag ohne Einschränkung und wie selbstverständlich bis Ende der 20er Jahre garantiert.
So viel zu den berühmten „Gesprächsebenen“ und ihrem „Funktionieren“. Nun aber zu Opel Bochum: Zwischen 2004 und 2014 wurde dort nicht „wochenlang“ gegen die Stilllegung des Werkes gekämpft, sondern jahrelang! Ohnedem, besonders den offensiv geführten 7-tägigen selbstständigen Streik im Herbst 2004, wäre die Schließung längst vorher erfolgt gewesen. Und auch 2014 stimmten zwei Drittel der Belegschaft gegen die Stilllegung – trotz Abfindungen. Nur zu einer neuen Schlacht war es damals nicht gekommen, weshalb sich die Monopolbosse von General Motors schließlich trauten, die dortige Autoproduktion einzustellen und die Schließung durchzuziehen. Nicht zuletzt antikommunistische Hetze, Intrigen, Zersetzung und Mobbing gegen konsequente und klassenkämpferische Teile der Belegschaft sowie vor allem ihre führenden Vertreter, unter ihnen Marxisten-Leninisten, seitens der reformistischen Betriebsratsspitze und hoher IGM-Funktionäre gaben den Kapitaleignern schändliche Schützenhilfe.
Bis heute aber sind die Lehren lebendig geblieben und von großem Wert auf dem Weg zur Arbeiteroffensive: Nicht die MLPD „streikte das Werk kaputt“ – geschlossen wurde es durch das internationale Finanzkapital aufgrund seiner Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel! Solange diese private Verfügungsgewalt besteht, werden Stilllegungen und Massenentlassungen an der Tagesordnung sein. Jeder Kampf dagegen und für die Verbesserung, Verteidigung und Erweiterung der Lage und der Rechte der Arbeiterklasse muss deshalb mit dem strategischen Ziel des Sozialismus verbunden sein. Erst dann werden „die Produktionsmittel in gemeinsames Eigentum des gesamten werktätigen Volkes überführt“, wie es im Programm der MLPD jeder lesen und nachprüfen kann. (S.60) Worum es dabei geht, ist auch nicht nur ein „betont kämpferischer Kurs“, vor welchem Wolfgang Nieke seinerzeit meinte, warnen zu müssen, sondern revolutionäre Politik. Je nach Situation gehört auch Augenmaß dazu, niemals aber Augenwischerei!