Krisenchaos

Krisenchaos

Regierungsrücktritte in drei EU-Ländern

Gestern reichte der ultrareaktionäre niederländische Ministerpräsident Mark Rutte den Rücktritt der von ihm geführten Vier-Parteien-Regierung ein. Es ist schon die dritte EU-Regierung, die in dieser Woche zerbricht.

Von as/ms
Regierungsrücktritte in drei EU-Ländern
Demonstration im Oktober 2020 gegen Entlassungen im italienischen Modena (Foto: SI COBAS)

In Estland musste die Regierung wegen eines Korruptionsskandals zurücktreten. In Italien ist die seit September 2019 regierende Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung, sozialdemokratischer Partito Democratico (PD) und der Kleinpartei Italia Viva, einer Abspaltung von den Sozialdemokraten, zerbrochen.


Die Regierungsparteien haben sich vor allem über ein Wirtschaftsprogramm zerstritten, das Italien aus der Weltwirtschafts-, Finanz- und Corona-Krise herausführen soll.

Tendenz zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise

Die allgemeine Destabilisierung der bürgerlichen Herrschaftsausübung ist Bestandteil der beschleunigten Tendenz zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise des imperialistischen Weltsystems mit der beginnenden Herausbildung solcher gesamtgesellschaftlicher Krisen in einzelnen Ländern.

 

Das führt zu immer mehr Regierungs- und Parteienkrisen, Regierungsrücktritten, Neuwahlen, Minderheitsregierungen und Problemen bei Koalitionsbildungen. Verstärkt wird das durch die tiefe Weltwirtschafts- und Finanzkrise in Wechselwirkung mit der Corona-Krise.

Italien – tief im Krisensumpf

Italien steckt besonders tief in dieser Krise. Die italienische Wirtschaftsleistung (BIP) brach 2020 um 10  Prozent ein - Spitzenwert unter den europäischen Ländern. Dieser Absturz wurde auch nicht durch zahlreiche staatliche Kaufprämien aufgehalten. Solche Krisensubventionen der Regierung und der Staatseinstieg in bankrotte Unternehmen und ganze Branchen haben die ohnehin extreme Staatsverschuldung Ende 2020 auf den Rekordstand von 159 Prozent des BIP getrieben.


Zusätzlich zu den 8 Millionen jetzt schon Armen werden weitere 5 Millionen (der 60 Millionen) Italiener nach offiziellen Schätzungen bis Ende 2021 in die Armut fallen. Arbeitslose erhalten zwischen 600 und 800 Euro monatlich, in seltenen Fällen bis zu 1.000 Euro.

S.I. Cobas ruft zum 24-stündigen Generalstreik auf

Das Scheitern des Krisenmanagements der Regierung und bürgerlichen Parteien hat das Vertrauen der Massen in die Herrschenden auf einen Tiefpunkt gebracht. 80.000 Menschen mussten bereits an oder mit Covid-19 sterben, mehr als in jedem anderen Land Europas.

 

Wenn Matteo Renzi jetzt mehr Investitionen in das Gesundheitssystem fordert, erinnern sich viele daran, dass dieser Renzi als Ministerpräsident von 2014 bis 2016 das Gesundheitssystem in Italien auf Maximalprofit getrimmt und mit einer Politik nach dem Vorbild von Gerhard Schröders „Agenda 2010“ für die massenhafte Zunahme von Niedriglöhnen in Italien gesorgt hat.

 

Arbeiterkämpfe nehmen an Breite und Härte zu. Rund um den 1. Mai letzten Jahres haben 900.000 in Italien gestreikt. Die kämpferische Gewerkschaft S.I.Cobas hat für den 29. Januar zu einem 24-stündigen Generalstreik in Italien aufgerufen.

Poker um EU-Subventionen

Ein Zusammenbruch italienischer Konzerne hätte sofort Auswirkungen auf die Lieferketten, vor allem auch nach Deutschland. Die EU versucht deshalb mit 209 Milliarden Euro aus ihrem Wiederaufbau-Fonds - der mit Abstand größten Summe von Subventionen an die EU-Staaten - die „Rettung Italiens“. Dafür werden allerdings knallharte Bedingungen zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen und zur Unterordnung Italiens unter die EU-Bürokratie diktiert. Noch-Ministerpräsident Conte lehnt die Subventionen unter diesen Bedingungen bisher ab.

 

Mit dem Versuch einer neuen Regierungsbildung ohne Neuwahlen will Conte im Auftrag eines Teils des italienischen Finanzkapitals verhindern, dass Faschist Matteo Salvini von der Lega erneut eine Chance zur Regierungsbildung erhält. Andere Teile des Finanzkapitals befürworten gerade im Streit mit Brüssel die offen nationalistische und faschistoide Regierungsmethode Salvinis. Eine Alternative für die Arbeiter und breiten Massen haben beide Richtungen nicht zu bieten.

Niederlande: 26.000 Familien diffamiert und in Not gestürzt

Auslöser des Regierungsrücktritts in den Niederlanden war ein politischer Skandal. Auf Weisung der Regierung haben die Finanzämter jahrelang Sozialleistungen, insbesondere Kindergeldzuschläge und Sozialhilfe von bedürftigen Familien zurückgefordert. Das stürzte viele der betroffenen 26.000 Familien ins Elend. Manche verloren ihre Wohnungen, teilweise wurden sie zwangsversteigert. Mit am schlimmsten war die damit verbundene staatliche Diskriminierung.

 

Ultrareaktionär Rutte sprach von einem "Versagen des Rechtsstaats". Dabei war die letzte von ihm geführte Koalition gemeinsam mit den Sozialdemokraten (PvdA) maßgeblich dafür verantwortlich. Der damalige Wirtschaftsminister Eric Wiebes, der die Finanzämter dazu verpflichtete, ist jetzt Finanzstaatssekretär Ruttes und hatte damals dessen volle Rückendeckung.

Nur die Spitze wachsender Unzufriedenheit

Die Empörung über diesen Skandal ist nur die Spitze einer wachsenden Unzufriedenheit über die Abwälzung der Krisenlasten durch Monopole und Regierung - auch aufgrund der Erfahrungen während der letzten Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Ruttes Rücktritt ist zum einen der Versuch, die Wogen zu glätten. Er leistet damit zugleich "Bauernopfer", um seine eigene Ausgangsposition für die Parlamentswahlen in zwei Monaten wieder zu verbessern.


Sowohl in Italien wie auch in den Niederlanden ist die wichtigste Schlussfolgerung aus der verstärkten Krisenhaftigkeit und dem offenen Ausbruch von Regierungskrisen die Höherentwicklung des Bewusstseins und der Organisiertheit der Arbeiterklasse und der breiten Massen. Dafür müssen vor allem die marxistisch-leninistischen Kräfte - wie in den Niederlanden die ICOR-Organisation Rode Morgen - gestärkt werden, die den Massen dabei helfen und im Kampf vorangehen.