Karfreitag

Karfreitag

Das Kreuz mit dem Kreuz

„Papa, warum haben die Christen alle so ein Kreuz in jeder Kirche mit einem toten Mann daran? Das ist doch grausam.“ Das fragte mich mal meine damals kleine Tochter. Nicht nur sie, auch der Menschenfreund Goethe polemisierte gegen das Kreuz als „Jammerbild am Holze“[1]

Von cg
Das Kreuz mit dem Kreuz
Screenshot einer Szene des satirschen Films "Das Leben des Brian", der am Karfreitag nur im privaten Rahmen angeschaut werden darf - nicht nur zu Corona-Zeiten ...

Und ausgerechnet vor diesem „Jammerbild am Holze“ kriecht Kanzlerin Merkel jetzt wieder zu Kreuz: Mit ihrem Verzicht auf die „Osterruhe“ ist sie nicht nur vor der Autolobby, sondern auch vor der mächtigen Kirchenlobby eingeknickt. Denn die wollen ihre Gottesdienste von Karfreitag bis Ostern ohne Einschränkungen als „höchstes christliches Fest“.

 

Ich will keinen ehrlich gläubigen Christen mit seinen religiösen Gefühlen gerade an Karfreitag und Ostern verletzen. Aber ich muss sie doch offen fragen: Ist das die Botschaft, die die Menschheit heute braucht: dass wir als „Sünder“ „zu Kreuze kriechen“ - umgangssprachlich „sich trotz versuchten Widerstands schließlich demütig unterwerfen.“ [2] Das ist keine böswillige Interpretation vor mir, sondern ganz biblisch: „Ihr Sklaven, ordnet Euch Euren Herrn unter und erweist ihnen den schuldigen Respekt, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den launischen... Alle unsere Sünden hat er am eigenen Leib ans Kreuz hinaufgetragen. Damit sind wir von den Sünden befreit und können nun für das Gute leben. Denkt daran: 'Durch seine Wunden sind wir geheilt worden.' [3]

 

Das Symbol des Kreuzes symbolisiert dem Menschen also: 'Du bist klein, fehlerhaft und sündig; du musst Dich unterwerfen, dich erniedrigen und leiden. Aber du bist darin nicht allein: Jesus hat deine Sünden und Qualen stellvertretend auf sich genommen.' Als Gegenpart zu dieser „bösen“ Botschaft des Kreuzes gilt für die Christen als zentrale  „gute“ Botschaft (= Eu-Angelium): die Osterbotschaft von der Erlösung von irdischem Leid und Tod durch die Hoffnung auf Auferstehung. Aber wird dadurch die Welt mit ihren realen Problemen und Nöten für die Masse der unterdrückten und ausgebeuteten Menschen auch nur ein bisschen besser? Bestenfalls als ideeller Trost.

 

Für die Urchristen vor 2000 Jahren war das eine verständliche Utopie: die erträumte reale Erlösung aus der Sklaverei. Anders konnten sie noch nicht denken. Die damalige Sklavenhaltergesellschaft war von dieser Heilsmythologie geprägt: Gekreuzigt wurden vor Jesus schon Prometheus, Lykurgos, Marsyas oder Dionysos. Die Auferstehung glückte angeblich auch dem griechischen Dionysos und Herakles, dem babylonischen Tammuz, dem syrischen Adonis und weiteren. Und auch als Erlöser hatte der Jesus-Mythos viele Vorbilder – so Bel-Marduk, die meist verehrte Gottheit in Babylonien. Auch er wurde gefangengenommen, verhört, zum Tode verurteilt, gegeißelt, mit einem Verbrecher hingerichtet,  fuhr in die Hölle und erlöste dann mit seiner Auferstehung die Gefangenen. ... Soweit diese Mythen und Utopien.

 

Aber was soll uns das heute noch sagen? Inzwischen hat die Menschheit einen Riesensprung nach vorne gemacht! Friedrich Engels' Buch hat das so auf den Begriff gebracht: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft.“ Weltanschauliche Voraussetzung für diese dialektisch- materialistische Wissenschaft von der Befreiung war die prinzipielle Kritik an der idealistischen Utopie von der Befreiung. Unübertroffen hat sie Karl Marx  formuliert: „Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertals, dessen Heiligenschein die Religion ist.“ [4]

 

Das Symbol des Kreuzes steht daher für die Vergangenheit, für die Erniedrigung, für die Niederlage. Die Symbole der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung Hammer, Sichel und Buch stehen dagegen für die Zukunft, für die realen gesellschaftlichen Kräfte.