Wachsende Kritik

Wachsende Kritik

„Ja zum weiteren Kampf – Nein zum Verhandlungsergebnis!“

Knapp eine Million Kolleginnen und Kollegen haben sich in der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie an Warnstreikaktionen beteiligt. Und das unter Corona-Bedingungen und in Krisenzeiten, wo die Monopolverbände glaubten, provokativ ihre unverschämten Gegenforderungen diktieren zu können. Statt diese Kampfbereitschaft zu nutzen, einigte sich die IG-Metall-Führung noch kurz vor der Osterpause in Nordrhein-Westfalen auf ein faules Verhandlungsergebnis, das als Pilotabschluss im wesentlichen auch im Bezirk Baden-Württemberg übernommen wurde. Beide Seiten haben eine Erklärungsfrist bis zum 30. April.

Von wb / gp
„Ja zum weiteren Kampf – Nein zum Verhandlungsergebnis!“
Kollegen bei einem Warnstreik in Krefeld während der Tarifrunde (rf-foto)

Gesamtmetall, Regierung und auch die IG-Metall-Führung fürchteten, dass ein unbefristeter Streik der Metaller ein politisches Signal im Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten durch Monopole und Staat werden und sich die Vertrauenskrise in die Regierung vertiefen könnte. Es blieb von ihnen auch nicht unbemerkt, dass Argumente und Forderungen der MLPD auf wachsende Zustimmung stießen.

 

Das Verhandlungsergebnis führt zu heftigen Diskussionen in den Betrieben. Ein Kollege berichtet von Daimler in Mettingen: „Eine erste Spontanreaktion war bei einem Kollegen, dass er die Idee der angesparten Einmalzahlung gut fand. Aber bereits der zweite durchschaute dies: Denn im Kern wird der Grundlohn nicht erhöht, der für die Zukunft zählt, also für die Rente, Zuschläge und Sonderzahlungen. So erarbeiteten sich viele Kollegen gemeinsam in der Abteilung, aber auch im Chat der 'Offensiven Metaller', eine vorwiegend ablehnende Einschätzung des Abschlusses“.

 

Es beginnt schon damit, dass keine monatliche Lohnerhöhung vereinbart wurde, sondern das Ganze mit zahllosen Sonderregelungen und Bedingungen ausgestattet ist, so dass man erstmal eine Riesenrechnerei hat.

 

In einem Leserbrief an die Rote Fahne Redaktion kritisiert ein Kollege, dass die 2,3 Prozent, die ab Juli bezahlt werden sollen, zu Unrecht als „Lohnerhöhung“ bezeichnet werden. Denn sie werden nicht ausgezahlt, sondern angespart - erstmals im Februar 2022 als sogenanntes „Transformationsgeld“ gezahlt. Dann, jeweils im Februar, jährlich 27,6 Prozent vom Monatsentgelt (zwölf Mal 2,3 Prozent). Er kritisiert: „Es handelt sich also tatsächlich um eine Nullrunde, die mit Einmalzahlungen 'getarnt' wird.“ Das ist bezogen auf 2021 richtig. Diese Einmalzahlung ab 2022 kann aber auch als Ausgleich für mögliche Arbeitszeitverkürzung eingesetzt werden. Und das wären bei 30 Stunden gerade mal ein Sechstel des notwendigen Lohnausgleichs für die Belegschaften!

 

Zudem wurde die Begrenzung der Zahl der Kollegen, die 40 Stunden arbeiten können, zur weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeit aufgehoben.

 

Viele Metallerinnen und Metaller sind vom Abschluss enttäuscht. Ein Daimler-Kollege schreibt in einem Chat: „Frage mich gerade, warum ich überhaupt gestreikt habe.“ Darauf geht ein anderer ein: „Warum soll man von den IG- Metall-Verhandlungsführern enttäuscht sein? Statt immer wieder Hoffnung in sie zu setzen, ist es entscheidend, selber aktiv zu werden und so die Gewerkschaft zu stärken. Und da war vor allem der Warnstreik vor dem Tor sehr wichtig.“ Diese Kollegen hatten beim ersten Warnstreik selbständig eine Kundgebung organisiert und so die Gewerkschaft zur Kampforganisation gemacht. Und solch eine Gewerkschaft brauchen wir - jetzt erst recht! Demgegenüber sind Gewerkschaftsaustritte kontraproduktiv, schwächen die Arbeitereinheit!

 

Gesamtmetall ist es bei den Verhandlungen erstmals gelungen, einen Automatismus einzubauen, mit dem Tarifbestandteile – sogar nachträglich (!) - außer Kraft gesetzt werden können. Damit erhalten die Unternehmen 2021 erstmals die Möglichkeit, das im Oktober fällige tarifliche Zusatzgeld B von 400 Euro deutlich nach hinten zu verschieben, oder gar nicht zu bezahlen, wenn die Umsatzrendite unter 2,3 Prozent liegt. Davon könnten derzeit fast 60 Prozent der Betriebe profitieren!¹

 

In Baden-Württemberg soll es darüber hinaus möglich sein, dass Firmenleitungen ab einer bestimmten Kennzahl das Weihnachtsgeld halbieren dürfen. In oben genanntem Leserbrief schreibt der Kollege dazu: „Es reicht ein Durchschnittsprofit, um die Belegschaften zu beklauen.“ Bereits 2004 hat Gesamtmetall im Pforzheimer Abkommen mit der IG-Metall-Führung vereinbart, dass Abweichungen vom Flächen-Tarifvertrag mit Zustimmung der IG Metall möglich sind. Dieses Abkommen wurde von der Gewerkschaftsbasis heftig kritisiert. Jetzt sollen Abweichungen vom Tarifvertrag möglich sein, ohne Zustimmung vom Betriebsrat oder IG Metall. Für Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf ist dies eine „Blaupause für zukünftige Abschlüsse.“²

 

Dieses Verhandlungsergebnis ist eine neue Stufe der negativ ausgerichteten Klassenzusammenarbeitspolitik. Es muss abgelehnt werden.

 

Gesamtmetall will Ost-West-Spaltung zementieren! Im Tarifbezirk Berlin/Brandenburg/Sachsen ist die Forderung der 35-Stunden-Woche Bestandteil der Tarifauseinandersetzung. Die Gewerkschaftsbasis drängt darauf, dass es in den nächsten zwei Wochen zu 24-Stunden-Warnstreiks in allen Monopolbetrieben kommt. Diese Auseinandersetzung ist eine Klassenfrage und geht die gesamte IG Metall an. Ohne die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich im Osten darf es keinen Abschluss geben!

 

Jetzt gilt es, Corona-gerechte Abteilungs- und Vertrauensleute-Treffen und Diskussionen zu organisieren: Für Protesterklärungen an die Tarifkommissionen und den IG-Metall-Vorstand, Verabschiedung von Solidaritätsadressen zur Unterstützung des Kampfes für die Kolleginnen und Kollegen in Ostdeutschland.

 

Am diesjährigen 1. Mai muss im Mittelpunkt stehen: Der offensive Kampf um jeden Arbeitsplatz - die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, ein allseitiges und vollständiges, gesetzliches Streikrecht, der konsequente Lockdown auf Kosten der Monopole und nicht zuletzt die sozialistische Alternative zum kapitalistischen Krisenchaos.