Brasilien
Fortschrittlicher Stimmungsumschwung bei erneuten Massenprotesten
„Weg mit Bolsonaro - Essen auf dem Teller, Impfung im Arm und 600 R$-Corona-Hilfe“ - unter diesem zentralen Slogan geraten alle Klassen und Schichten Brasiliens in Bewegung. Gegen den „Genozid“ orientieren sich Hunderttausende - geschätzt 750.000 - politisch neu oder werden erstmals aktiv.
In über 400 Städten und Regionen gingen Hunderttausende auf die Straße. Viele Menschen verfolgten es am Fenster, auf dem Balkon oder via Livestream - es gab viele offene und gesellschaftskritische Diskussionen im Internet, auch auf den Demos selber!
Die gesamtgesellschaftliche Krise breitet sich weiter aus: Die Corona-Krise (500.000 Tote), die Struktur- und Wirtschaftskrise (Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, Inflation, Armut) und die offene politische Krise (bis hinein in den Staatsapparat/Militär) polarisieren jeden. Jeder kennt jemanden, der an Corona gestorben ist. Die Regierung hat kaum noch Unterstützung in der Bevölkerung, wie der Rekord von 120 offiziellen Impeachment-Anträgen an das Parlament bzw. gegen die Regierung zeigt.
Hier Forderungen der Demonstranten:
- Gegen die faschistoide Regierung und ihre neuimperialistische Ausrichtung („Ausverkauf des Landes“)
- Umweltschutz und Menschenrechte (v. a. im Amazonas und in den Schutzgebieten der Indigenen)
- Für die massenhafte und schnelle Corona-Impfung der Bevölkerung
- Für eine „Corona-Hilfe“ von 600 Real für jeden
- Gegen alle Privatisierungen bei staatlichen Konzernen (wie Petrobras, Electrobras, Bundespost bzw. staatlichem Gesundheitssystem SUS)
- Kampf um jeden Arbeitsplatz, Gesundheitsschutz, gegen Lohnverzicht und Flexibilisierungen (z. B. Ford, VW, Metro von São Paulo, gegen Privatisierungen der Renten- und Sozialversicherung, Streik von Fernfahrern gegen Preissprünge bei Kraftstoffen, und „Moto-Boys“ der App-Essenslieferanten)
- Für die 30-Stunden-Woche ohne Lohnverzicht im staatlichen Gesundheitssystem (Hebammen, Notdienste, Intensivpflege) Gegen Privatisierungen (2010 setzte die Sozialarbeiter-Union-Brasiliens für 100.000 Kolleginnen / Kollegen im staatlichen Sozialdienst die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich durch)
- Für bessere Bildung, Impfung der Lehrer und gegen Militarisierung der Schulen
- Verfolgung von Fake-News und Mobbing im Netz
- Abtreibung bei Frauen ist nicht „illegal“ ...
Das Klassenbewusstsein erwacht mit neuer Qualität. Die Arbeiterklasse bzw. das Industrieproletariat beginnen sich neu zu orientieren. Vor allem, welche Rolle sie in der kapitalistischen Gesellschaft spielt. Und sie beginnt zu hinterfragen, welche Folgen die Spaltung der Gewerkschaften hat.