Krise des Neokolonialismus
Zur Ermordung des haitianischen Präsidenten J. Moïse
In der Nacht vom 6. auf den 7. Juli wurde der amtierende Präsident von Haiti, Jovenel Moïse, in seiner Residenz erschossen.
Die Regierung Haitis ist derzeit in den Händen des amtierenden Premierministers Claude Joseph. Sie hat im ganzen Land den Belagerungszustand ausgerufen, Flughäfen geschlossen und verkündet, die ersten Hinweise deuten auf "eine nicht identifizierte Gruppe ausländischer Krimineller“ hin, die für die Ermordung verantwortlich sei.
Moïse, ein Mogul des Bananenhandels, der 2016 nach umstrittenen Wahlen als Vertreter der liberalen Partei Tet Kale zum Präsidenten des Landes aufgestiegen war, führte eine der instabilsten Regierungen Lateinamerikas. Ist sein Tod Ergebnis rivalisierender Teile der bürgerlichen Klasse Haïtis oder der imperialistischen Einmischung?
Mehrmals erschütterten Proteste gegen harte Kürzungspläne in einem der ärmsten Länder der Welt die Regierung Moïse. Seit 2018 nehmen Proteste und Korruptionsvorwürfe stetig zu, und der Anstieg der Kraftstoffpreise im Jahr 2019 löste soziale Unruhen aus. Sie stellten die geringe Autorität der Regierung noch mehr infrage. Sie wurde nur durch die kriminellen Maßnahmen des repressiven Staatsapparats gehalten. Staatlich geschützte und bewaffnete Mafia-Gangs, reiche Geschäftsleute und Händler und die uneingeschränkte Unterstützung des US-Imperialismus und der OAS (Organisation amerikanischer Staaten) unterstützen die Politik der Strukturanpassung und Repression.
Seine Politik kam nur den Wirtschaftszweigen zugute, zu denen Moïse selbst gehörte, und sie wurde von den Anforderungen der Vereinigten Staaten diktiert. Der amerikanische Imperialismus kontrolliert schon lange, und besonders seit seiner Intervention im Jahr 2004 gegen die Regierung von Jean Bertrand Aristide, die wichtigsten wirtschaftlichen und institutionellen Hebel des Landes. Dies mit Unterstützung einer von der UNO gebildeten multilateralen "Friedenstruppe" namens Minustah. Frankreich, Brasilien, Chile und Argentinien schicken Soldatenkontingente.
Die neokoloniale Politik brachte für die Bevölkerung immer tieferes Elend. Eine Zunahme der Gewalt durch „offizielle Banden“ hat zur Zwangsumsiedlung von Hunderten von Familien geführt, die sich selbst überlassen sind und keine Hoffnung mehr haben, in ihre Häuser zurückkehren zu können. Diese zwangsvertriebenen Menschen schlafen derzeit unter freiem Himmel, im Regen oder werden zusammengepfercht, inmitten der Corona-Krise mit aktuell gerade wieder stark ansteigender Infektions- und Todesrate.
Unter diesen Bedingungen hatte Präsident Moïse beschlossen, zum Ende seiner Amtszeit im Februar dieses Jahres nicht zurückzutreten und de facto im Amt zu bleiben. In dieser Zeit wurden zahlreiche Massaker an Persönlichkeiten sozialer Bewegungen und an Journalisten verübt. Das Land befindet sich in einer tiefen humanitären, Ernährungs- und sanitären Krise. Diese ist seit dem Erdbeben von 2010, bei dem fast 300.000 Menschen getötet und die fragile Infrastruktur zerstört wurde, die Millionen Haitianer mit Wasser und Energie versorgt hatte und die nie vollständig wieder aufgebaut wurde, noch katastrophaler.
Haïti ist das Land der ersten erfolgreichen Sklavenrevolte in der Geschichte der Menschheit. Die haïtianische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts veränderte eine koloniale und rassistische Weltordnung. Sie war eine immense Hoffnung für alle unterdrückten Völker der Welt auf der Suche nach Freiheit und kollektivem Wohlergehen.
Seitdem hat das haitianische Volk, das oft in den Ergebnissen seiner Kämpfe getäuscht wurde, nicht aufgehört, mutig zu kämpfen. Heute kämpft die ICOR-Partei NCPH (ml) für die Selbstorganisation der Massen in Haiti und gegen fremde Truppen und imperialistische Unterdrückung.
Die PCR Uruguay schreibt zur aktuellen Entwicklung in Haiti: "Wir unterstützen kein Attentat! Wir begrüßen die Reife der Bevölkerung, die klar verstanden hat, dass diese Ereignisse nicht zu ihren Gunsten sind, und wir bitten sie, wachsam und mobilisiert zu bleiben, damit dieser Putsch nicht stattfindet. Wir bitten die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren und sich nicht manipulieren zu lassen. Wir sollten der selbsternannten Macht keinen Vorwand geben, um die Unterstützung ausländischer Interventionen zu erbitten. Wir verurteilen aufs Schärfste die Verletzung der eigenen demokratischen Charta durch die Vereinten Nationen. Die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs in Haiti, Frau Lalime, unterstützt einen ehemaligen De-facto-Premierminister, der überstürzt eine Macht an sich gerissen hat, die ihm niemand gegeben hat, während noch keine Untersuchung der Ermordung des ehemaligen Präsidenten eingeleitet wurde, der ihn gerade aus dem Amt entfernt hatte. Haitianische Bevölkerung Wir rufen alle fortschrittlichen Kräfte auf, einen soliden Block zu bilden, entschlossen und engagiert für den Aufbau eines Landes, in dem wir mit Würde, Respekt für andere und für das Leben, in Sicherheit leben können."