Interview mit Frank Jasenski
„Gegen 'Gefährder' steht das ganze Arsenal polizeilicher Repressionsmaßnahmen zur Verfügung“
Stefan Engel, Leiter der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG, klagt am 3. August vor dem Verwaltungsgericht Meiningen dagegen, dass er im Mai 2018 zum „Gefährder“ erklärt worden ist. Rote Fahne News sprach dazu mit Rechtsanwalt Frank Jasenski von der Kanzlei Meister & Partner, Gelsenkirchen.
Rote Fahne News: Was bedeutet es eigentlich, als „Gefährder“ eingestuft zu werden?
Frank Jasenski: Nach der Definition des Bundeskriminalamts (BKA) bzw. der Landeskriminalämter (LKA) sind Gefährder Personen, bei denen aufgrund angeblich vorhandener „Erkenntnisse“ die Annahme gerechtfertigt sei, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solchen aus dem Bereich des „Terrorismus“, begehen werden. Diese Definition findet sich jedoch in keinem Gesetz, sondern sie ist quasi eine interne Arbeitsgrundlage der Polizeibehörden. Dementsprechend heißt es in dem Gefährderbrief, den Stefan Engel von dem Thüringer Polizeidirektor Dirk Löther erhalten hat, seine Funktion als Schirmherr des „Rebellischen Musikfestivals“ 2018 begründe bei einem Auftritt der revolutionären türkischen Musikgruppe „Grup Yorum“ den „Anfangsverdacht der Terrorismusfinanzierung gemäß § 89c StGB und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129 StGB – Straftaten also, die zu den schwerwiegendsten gehören, die das deutsche Strafrecht kennt. Dementsprechend schwerwiegend sind auch die polizeilichen Maßnahmen, die gegen sogenannte „Gefährder“ von Fall zu Fall zulässig sind. Es steht letztlich das gesamte Arsenal polizeilicher Repressionsmaßnahmen zur Verfügung, angefangen von der Identitätsfeststellung über Telefonüberwachung, Abhören von Fahrzeugen oder Wohnungen, Einsatz von Staatstrojanern, Verbote, bestimmte Orte zu verlassen oder Personen zu treffen, bis hin zur elektronischen Fußfessel oder der vornehm mit „Unterbindungsgewahrsam“ umschriebenen Vorbeugehaft.
Rote Fahne News: Wie kommt es, dass Stefan Engel als bekannter Marxist-Leninist in Deutschland als Gefährder kriminalisiert wird?
Frank Jasenski: Stefan Engel konnte kein einziger strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden. Wegen der Vorgänge um das Rebellische Musikfestival wurde noch nicht einmal ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet. Selbst die Staatsanwaltschaft Gera musste zugeben, dass die Behauptung angeblich drohender „terroristischer Straftaten“ auf einer „rechtlichen Fehleinschätzung“ beruhten. Umso empörender ist, dass er mit diesem Gefährderbrief letztlich auf eine Stufe mit islamistischen Terroristen gestellt wird. Hintergrund kann nur die politische Position von Stefan Engel als international bekannter führender Marxist-Leninist, Leiter des theoretischen Organs und langjähriger Vorsitzender der MLPD sein. Zu den genauen Hintergründen gibt es noch viel aufzuklären. So behauptet das LKA NRW, er werde dort nicht als „Gefährder“ geführt, gleichzeitig bestätigt aber das BKA, dass er im Dezember 2019 zur „Gefahrenabwehr“ bundesweit zur Fahndung ausgeschrieben war - und, dass Polizeibehörden aus NRW nachweislich auf diese Daten zugegriffen haben. Gleichzeitig behauptet das BKA, den Grund dafür nicht mehr zu kennen. Bei der Fahndungsausschreibung von 2019 hatte auch das Bundesamt für „Verfassungsschutz“ seine Finger im Spiel. Entsprechende Auskünfte, die wir verlangt haben, werden aber seit Monaten wegen angeblicher Arbeitsüberlastung verschleppt. Daher werden wir auch den Prozess am 3. August dazu nutzen, auch hier soweit wie möglich Licht in das Dunkel der Verquickung zwischen Inlandsgeheimdienst und Polizeibehörden zu bringen.
Rote Fahne News: Sind solche Maßnahmen nicht aus dem Hitler-Faschismus bekannt?
Frank Jasenski: Natürlich kann man die in den Polizei- und Geheimdienstgesetzen der BRD mit dem Segen der Parlamente verankerten Repressionsmaßnahmen nicht direkt mit dem offenen terroristischen Vorgehen des Staats der Monopole unter dem Hitler-Faschismus vergleichen. Wenn man sich aber die einzelnen Maßnahmen und weitgehenden Bespitzelungsrechte ansieht, kommt man zu dem Ergebnis, dass viel von dem, was damals schon gegen politische Gegner angewendet worden ist, heute ganz legal im Gesetz steht. Daher kann man von einer zunehmenden Faschisierung des Staatsapparats sprechen.
Rote Fahne News: Was soll juristisch mit dem Prozess erreicht werden?
Frank Jasenski: Zunächst geht es darum, dass das Gericht feststellt, dass der „Gefährderbrief“ vom Mai 2018 jeglicher Grundlage entbehrte und deshalb in vollem Umfang rechtswidrig gewesen ist. Zum anderen werden wir darüber hinaus weiter verlangen, dass über alle zu Stefan Engel vorgenommenen Datenspeicherungen bei BKA, „Verfassungsschutz“ und anderen staatlichen Behörden umfassend Auskunft erteilt wird. Es ist ein wichtiger Bestandteil des Kampfes um Erhalt und Erweiterung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten, diese, wenn auch völlig unzureichenden Auskunftsrechte einzufordern.
Rote Fahne News: Vielen Dank für das Gespräch, und viel Erfolg beim Prozess!