Flüsse als Landschaftsgestalter
Dialektischer Rheinspaziergang
Letztes Oktoberwochenende machten wir mit Freundinnen und Freunden vom Niederrhein einen Rheinspaziergang. Trotz Regenwetter freuten wir uns darauf. Zu Beginn sammelten wir Sinneseindrücke.
Der rege Schiffsverkehr wies auf die Funktion als eine der größten Wasserstraßen der Welt hin. Angler am Ufer deuteten an, welches Nahrungsreservoir der große Strom ursprünglich war. Der Rhein ist aber auch Trennung zwischen Volksgruppen und kann lebensbedrohende Eigenschaften annehmen. Jeden Sommer ertrinken Menschen beim Baden. Früher haben regelmäßig auftretende Hochwasser große Verwüstungen angerichtet.
Man darf bei der objektiven Beurteilung eines Gegenstandes nicht nur die einem genehme oder nur die nicht genehme Seite betonen. Das dialektische Denken bewahrt uns vor Einseitigkeit und Subjektivismus. Wir sahen nur einen klitzekleinen Ausschnitt des großen 1.200 Kilometer langen Stroms. Genau genommen ist der Rhein beginnend von seinen Quellen in 3000 m Höhe in der Schweiz bis zur großen Mündung in Holland ein ganzes System, das sich als fortlaufender Umschlag von Quantität und Qualität aus Rinnsalen, Bächen und Flüssen zusammensetzt. Profitorientierte kurzsichtige Flusswasserregulierungen und Hochwasserschutzmaßnahmen beachten dieses System in seiner Gesamtheit nicht. Die Folgen erlebten wir kürzlich bei den Flutkatastrophen der Zuflüsse im Ober- und Mittelrhein.
Ausnahmslos alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Spaziergangs konnten mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen beitragen. Richtig zu knacken hatten wir bei der Beantwortung der Frage, welche Gesetzmäßigkeiten die Bewegung und den Verlauf von Fließgewässern bestimmen. Die Landschaft (inklusive einem Gefälle) ist die notwendige Bedingung, aber es sind innere Widersprüche in der Wasserströmung, die das Flussbett und seine Windungen modellieren. Von der Quelle bis zur Mündung transportieren Flüsse Material und verarbeiten es von großen Felsblöcken bis zu feinsten Sandkörnern. Jährlich führen alle Flüsse auf unserer Erde den Weltmeeren 13 Milliarden Tonnen Sedimente zu.
Flüsse sind die wichtigsten natürlichen Landschaftsgestalter im wechselseitigen Gegenspiel zu neuen Auftürmungen von Gebirgen durch Tektonik und Vulkanismus. Ein ständiges Werden und Vergehen! Das abgetragene Material liefert selbst wiederum seinen Gegensatz durch Anlagerungen in Form von Ufer- und Sandbänken. Der Charakter eines Flusses ändert sich, je nachdem, ob Abtragungs- oder Ablagerungsstrecken vorherrschen. Ersteres ist in der Regel im Oberlauf in Bergregionen und Letzteres zunehmend im Unterlauf und im Mündungsgebiet der Fall.
Der innere Widerspruch und die jeweilige Hauptseite darin entscheiden über die Entwicklung eines Dinges, sowohl in der Natur, der Gesellschaft und dem menschlichen Denken. Bei Kaffee und leckerem Kuchen mit Blick auf den Rhein und Schaubilder einer Präsentation wurden die Erkenntnisse zusammengetragen und debattiert. Am Ende fanden alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Nachmittag erholsam und lehrreich. Dialektik ist kein Hexenwerk! Ein Teilnehmer meinte, er bekommt richtig Lust, sich für einen Dialektik-Kurs zu bewerben.