"Die Verurteilung des Lukullus"
Premiere der Brecht-Dessau-Oper - weitere Vorstellungen im November
Dass diese Oper von 1951 wieder zur Aufführung kommt, ist vor allem dem Musiktheaterkollektiv „Hauen und Stechen“ aus Berlin zu verdanken. Dessen Regisseurinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski ist bei den Darbietungen in Stuttgart die Regie übertragen.
Nach der Premiere, die am 1. November stattfand, wird das Stück noch am 6./13./15./20.11.2021 zu sehen sein. Es beginnt jeweils um 19:00 und dauert eine Stunde und fünfundvierzig Minuten ohne Pause. Eine dreiviertel Stunde vorher findet eine Einführung statt.
Bei der Premiere war das Rund des Opernhauses Stuttgart erstmals seit Beginn der Pandemie wieder vollbesetzt, der Beifall am Schluss wollte nicht enden. Das farbenprächtige Spiel und die Musik stießen auf Begeisterung – und das bei einer siebzigjährigen „Klassenkampf-Klamotte“. Oder gerade deshalb?
Der Inhalt in aller Kürze: Lukullus, siegreicher Feldherr, stirbt (56 v.Chr.) und wird mit einem riesigen Trauerumzug durch die Straßen Roms geehrt. Danach gelangt er in die Unterwelt, wo etwas andere Gesetze gelten als im römischen Imperium, nämlich die der Besitzlosen, der Sklaven, Fischweiber, Bauern und einfachen Soldaten. Auch sie gehören dem Totenreich der Schatten an, fungieren hier unten aber als Ankläger und Richter darüber, welche der „Neuankömmlinge“ ein gutes Leben führten und den Menschen nutzten, und welche anderen wiederum Schaden brachten für das Volk.
Lukullus, der sich anfangs sicher ist, ein Held zu sein, gerät während des Verhörs mehr und mehr außer sich, da ihm all seine Schandtaten in den imperialen Kriegen Roms vorgehalten werden. Schließlich werden er und seinesgleichen verurteilt: Ins Nichts mit ihnen! Eindrucksvoll tritt eine Menge von Jugendlichen und Kindern auf, die die „Nachwelt“ repräsentieren und die Verkündung des Urteils über Lukullus mit großen Hoffnungen entgegennehmen. Fast fühlt man sich an Versammlungen von „Fridays for Future“ erinnert, die politische Hauptthematik dreht sich allerdings nicht in erster Linie um die Umwelt, sondern um die Frage von Krieg und Frieden und geht auf die Zeit vor und nach dem II. Weltkrieg zurück. Hierzu und weiteren Ereignissen erscheinen auch dokumentarische Bilder in Videofilmen, die an einer der Seitenwände fortwährend zum Ablauf kommen. Die Texte werden gesprochen und gesungen, man kann zum besseren Verständnis per Leuchtschrift mitlesen, muss dazu aber sehr weit nach oben über den Vorhang schauen, so dass das kunstvolle Bühnengeschehen dabei leider immer etwas aus dem Blick gerät.
Historisch bemerkenswert ist die Entstehungsgeschichte in der frühen DDR, da der Führung des Zentralkomitees der SED die Oper mehr als verdächtig erschien. „Formalismus“ hieß die wichtigste Kritik, die sich zum einen auf die neuartige Musik Dessaus bezog, zum anderen auf den angeblichen „Pazifismus“ Brechts. Zur damaligen Premiere, die als „Probeaufführung“ deklariert wurde, waren nur Mitglieder des ZK und der zentralen Abteilungen zugelassen, sowie eine starke Gruppe der Jugendorganisation FDJ, die unter Leitung von Erich Honecker mit Buh-Rufen und Pfiffen Stimmung gegen das Stück machen sollte.
Es kam jedoch anders, nicht zuletzt weil ein Teil der ausgewählten Gäste, vor allem der Jugendlichen, ihre Karten an vor dem Theater wartende Operninteressierte verkauften, die die Chance flugs wahrnahmen und in den Aufführungssaal strömten. So verstummten bald anfängliche Missfallensbekundungen, stattdessen schwoll der Beifall von Szene zu Szene an und brandete rauschend auf am Schluss. Verärgert und blamiert verließ daraufhin Walter Ulbricht seine Loge, andere Spitzenfunktionäre folgten dem Ersten Sekretär auf dem Fuß.
Erst nach Vermittlung durch den Staatspräsidenten Wilhelm Pieck, der ein Gespräch mit Dessau und Brecht führte, kam es zu einer vorläufigen Lösung: Das Stück wurde erstens umbenannt von „Das Verhör des Lukullus“ in „Die Verurteilung des Lukullus“. Wenn etwas als „formalistisch“ zu bezeichnen war, dann diese Umbenennung. Denn die Verurteilung des Lukullus war auch in der ersten Fassung eindeutiges Ergebnis und blieb in der zweiten textlich unverändert. Der erste Titel stellte aber das „Wie“ dieses Prozesses in den Mittelpunkt, eben das Verhör durch die von Lukullus und anderen „Größen“ einst beherrschten Massen. Zum zweiten wurde die Unterscheidung in Angriffskriege und Verteidigungskriege eingeführt, was auf eine tatsächliche Schwäche verwies. Allerdings fehlte nach wie vor eine Differenzierung hinsichtlich gerechter und ungerechter Kriege, da auch Verteidigungskriege nicht per se antiimperialistischen Charakter tragen.
Doch wie auch immer, selbst mit einigen inhaltlichen und musikalischen Korrekturen dieser Art gab es lediglich noch eine einzige öffentliche Vorstellung, dann wurde die Oper bis 1957 in der DDR gänzlich verboten – und übrigens auch in der BRD nur äußerst selten gezeigt. Seit den 60er Jahren dann erreichte sie in der DDR neues Ansehen und einen regelrechten Durchbruch, insbesondere im Zeichen des Kalten Krieges und als Stück gegen die westliche Aufrüstungspolitik – währenddessen die sowjetische Hochrüstung der „neuen Zaren“ im Kreml ja nach offizieller Lesart der Bürokratie scheinbar „nur“ der Verteidigung diente.
Alles in allem, so kann man es wohl sagen, dürfte die Literatur- und Musikgeschichte zu dieser Oper noch nicht fertig geschrieben sein. Umso spannender, sie sich aktuell noch einmal anzuschauen und eine eigene Position zu finden!