Arbeiter und das Fahrrad
Fast vergessenes Stück Stadt- und Sportgeschichte
Viele Freunde des Sports wie ich empören sich über die Auswüchse des Profisports. 250.000 Euro Wochengehalt für den Nationalspieler und Impfskeptiker Joshua Kimmich, Fußball-WM in Katar und vieles mehr. Umso erfreuter war ich über ein Interview in der Südwestpresse unter der Überschrift: „Die Roten Husaren des Klassenkampfs“
Arbeiter und das Fahrrad. Der Fund eines alten Fotos hat die irische Studentin Margret Haverty auf die Spur eines fast vergessenen Kapitels der Stadtgeschichte geführt.
Frau Haverty, Arbeiter, die Rad fahren, was ist denn daran besonderes?
Ist in Stuttgart nicht jeder, der Rad fährt, etwas besonderes? In einem Lied, das zur Gründung des Arbeiterfahrradbunds Solidarität 1896 geschrieben wurde, heißt es: „Aufs Rad! Aufs Rad – Genossen alle! Frisch auf! Zum letzten heißen Streit! Oder: Frisch auf, zu fröhlicher freier Fahrt, Das sichere Stahlroß blinket! Wir radeln lustig von Ort zu Ort“. Das Rad war Sportgerät, aber es vergrößerte auch die Welt.
Inwiefern?
Man kam überall hin. Es gab Touren- und Wanderfahrten als Ausgleich zur Fabrikarbeit. Aber man nutzte das Rad auch, um an entlegenen Orten zum Wählen aufzurufen, um Stimmzettel einzusammeln und zur Agitation. Die Radler, die Flugblätter in die Dörfer brachten, nannte man auch „die Rote Kavallerie“ oder die „Roten Husaren des Klassenkampfs“. Und man nutzte das Rad um sich von den bürgerlichen Sportvereinen abzugrenzen.
Warum war das wichtig?
Das Motto der Arbeitersportbewegung war „Massensport statt Kampfrekord“. Es ging um die Gemeinschaft, nicht um den Wettkampf. Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes im Jahr 1890, also nachdem die Überwachung und Auflösung sozialdemokratischer Vereinigungen ein Ende fand, bildeten sich rasch unzählige Clubs, Chöre, Orchester, Mutterschutzvereine und Sportvereine. Dann kam noch etwas anderes hinzu.
Nämlich?
Es gab arbeitsfreie Zeit. Zunächst der Sonntag, schließlich der Samstagnachmittag. Und dann hatte man sogar nach der Arbeit noch einige Stunden Freizeit. Wie füllt man die? In den engen Wohnungen wollte man nicht bleiben. Die Kneipe lag nahe. Dafür bildeten Arbeitervereine eine Alternative. Und Sportmachen hält fit, damit man sich besser einbringen kann im Klassenkampf.