Koalitionsvertrag
Neue Regierung – Was verbirgt sich hinter den schönen Worten?
Seltsamer Missklang zum Start der selbsternannten neuen Hoffnungsträger: Während die Pressekonferenz der "Ampel"-Koalitionäre als ein Show-Event inszeniert wurde, mussten sich alle Redner erst einmal ziemlich kleinlaut auf die dramatische Entwicklung der Corona-Krise beziehen.
Man war sichtlich bemüht, den Fehlstart der „Ampel“ zu beschönigen, die sich wochenlang fast nur mit sich selbst beschäftigte, fahrlässig für die viel zu frühe Abschaffung sinnvoller Maßnahmen stand, dann die Krisenentwicklung dramatisch unterschätzte und schließlich unentwegt die eigenen Gesetzesvorlagen nachbessern muss. Nicht gerade ein guter Start, wenn inzwischen - laut ZDF-Politbarometer - 49 Prozent der Bevölkerung sagen, die Corona-Schutzmaßnahmen „müssten härter ausfallen“ (mehr dazu hier), also aktuell offensichtlich keiner Partei zutrauen, richtige Entscheidungen bezüglich der Pandemie zu treffen.
An Selbstlob und großen Worten wurde jedenfalls nicht gespart. Man nennt sich selbst „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ und gibt sich das Motto: „Mehr Fortschritt wagen“ - frei angelehnt an den berühmten Spruch von Willy Brandt, dessen „Wagnis“ unter anderem darin bestand, vor 50 Jahren die Berufsverbote für Linke einzuführen. Mit seinen 177 Seiten dürfte der Koalitionsvertrag einen neuen Rekord an schönen Absichtserklärungen darstellen.
Kern: Gigantisches Investitionsprogramm auf Pump
Für den angekündigten "Fortschritt" setzt die kommende Regierung in erster Linie auf die größten Feinde jedes gesellschaftlichen Fortschritts: Auf die kapitalistischen Monopole. Sie sollen für Investitionen in ihre Konkurrenzfähigkeit gigantische Staatshilfen bekommen. Kern ist eine Superabschreibung zu über 100 Prozent schon im ersten Jahr bei Investitionen in Klimaverträglichkeit und Digitalisierung. Zusätzlich wird die steuerliche Verlustverrechnung erweitert, wodurch die Monopole ihre Steuern noch weiter senken können. Die Staatsbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) soll zusätzlich ihre Förderungsprogramme erweitern. Es gibt also nicht nur keine Vermögenssteuer, sondern Monopole werden noch massiv entlastet und subventioniert.
Finanziert wird das Ganze mit einem simplen Trick: Da die gesetzliche Schuldenbremse für die Jahre 2021/2022 ausgesetzt ist, soll in dieser Zeit ein Sondervermögen in Form eines Fonds geschaffen werden, der in den folgenden Jahren an der Schuldenbremse vorbei die Steuergelder an die Monopole vergeben kann. Damit will die "Ampel"-Koalition vor allem den Zwang umgehen, ab 2023 alle Wohltaten für die Monopole direkt auf die Massen abwälzen zu müssen. Im Kern will man so Zeit kaufen, aus Angst vor dem Widerstand der Arbeiterinnen, Arbeiter und der Massen. Aber mehr als eine Verschiebung um wenige Jahre kann dabei nicht herauskommen. Noch geben viele der Regierung eine Chance, nach dem Motto: „Erstmal abwarten.“ Dem Massenprotest wird diese Regierung aber früher oder später nicht entgehen!
Modifizierungen gegenüber der Merkel-Regierung
Der Koalitionsvertrag enthält durchaus einige Zugeständnisse an die Massen und an den fortschrittlichen Stimmungsumschwung - auch noch über das Sondierungspapier hinaus. So ist eine Kinder-Grundsicherung geplant, die als einfache, automatisch gezahlte Förderung von Kindern angepriesen wird, wobei allerdings die Höhe dieser Leistung offen bleibt – die eigentlich interessante Frage! Das Wahlrecht mit 16 soll eingeführt werden, was eine - auch von der MLPD geforderte - Verbesserung ist. Auch in der Flüchtlingspolitik zeichnet sich eine Modifizierung gegenüber der großen Koalition ab: Familiennachzug für Geflüchtete soll erleichtert werden und die Einwanderung von Fachkräften wird gefördert, einschließlich der Möglichkeit des „Spurwechsels“ vom Asyl-Antrag zur Berufstätigkeit - besonders für die von den Kapitalisten gewünschten Fachkräfte. Zugleich soll es eine "Rückführungsoffensive" geben - was ein Element der weiteren Rechtsentwicklung wäre.
Trotzdem stehen die Pläne der "Ampel"-Koalition in der Sozialpolitik und besonders in der Umweltpolitik in dramatischem Widerspruch zu den eigenen Wahlversprechen. Geplant ist die weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit, wenn auch nicht so drastisch wie im Sondierungspapier. Geplant ist auch eine indirekte Rentensenkung, indem ab sofort wieder der „Nachholfaktor“ eingeführt wird, der bei sinkenden Löhnen auch die Renten absenkt. In der gesetzlichen Rentenversicherung wird ein kapitalgedeckter Anteil eingeführt, der auch – entgegen dem Sondierungspapier – aus der Rentenversicherung ausgegliedert wird. Bedeckt hält man sich über die künftige Finanzierung dieses Fonds aus den Beiträgen der Versicherten. Der Mieterbund kritisiert den Vertrag als „Enttäuschung für Mieterinnen und Mieter“. Stefan Wolf, der Präsident des Kapitalistenverbandes Gesamtmetall, stellt dagegen zufrieden fest, dass der Koalitionsvertrag im Bereich Arbeit und Soziales für seinesgleichen deutlich besser ist als der Vertrag der letzten Merkel-Regierung.
Was die Aussagen des Koalitionsvertrags zur Umweltpolitik betrifft, so fasst Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe knapp zusammen: „Die Handschrift der Autokonzerne ist unübersehbar. Unglaublich, dass die CSU-Autolobby-Politik nahtlos fortgesetzt werden soll.“ Den umweltpolitischen Teil des Koalitionsvertrags werden wir morgen in Rote Fahne News noch genauer unter die Lupe nehmen. Ebenso weitere Fragen wie zur Cannabis-Freigabe.
Demagogisch ist die Hetze der AfD, die zu dem Koalitionsvertrag meint, dies sei die erste Linkskoalition mit FDP-Beteiligung. Es passt der AfD nicht, dass nicht mehr Horst Seehofer Innenminister ist, der weitgehend AfD-Positionen umgesetzt hat, sondern Christine Lambrecht, die für einen liberaleren Kurs bei demokratischen Rechten und Freiheiten steht. Natürlich würde der AfD auch ein Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht passen, ein Hass-Objekt der Corona-Leugner. Allerdings sieht es so aus, dass die SPD selbst davor zurückweicht, Lauterbach zu nominieren. Gespannt darf man auf einen Superminister und Vizekanzler Robert Habeck sein, der die „Vereinbarkeit von Wohlstand, Wachstum und Klimaschutz“ - im Kapitalismus - zu seinem Programm erklärt hat. Wachsam wird auch die Friedensbewegung eine Außenministerin Annalena Baerbock beobachten, die sich als Scharfmacherin gegen die neuimperialistischen Länder Russland und China profiliert hat.
„Hartz IV überwinden“ hieß es im Wahlkampf von Bündnis 90 / Die Grünen. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz im August einigten sich die Delegierten auf eine Erhöhung von 50 Euro im Monat. Ein Antrag der Grünen Jugend, in dem eine Erhöhung des Satzes um 200 Euro gefordert wurde, kam zwar nicht durch, aber am Ende einigten sich die Grünen auf ein „schrittweises Vorgehen als Kompromiss“. Das jetzt vorliegende Ergebnis hat mit diesen Forderungen nicht mehr viel zu tun.*
Es gilt, die kämpferische, fortschrittliche Opposition gegen die Regierung im fortschrittlichen Stimmungsumschwung zu stärken – auch gegen Kräfte rund um die AfD, die die Kritik an der Regierung mit ihrer sozialfaschistischen Demagogie nutzen wollen.
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