Polarisierung

Polarisierung

Richtungswahlen in Chile

Am 21.November fanden in Chile Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Bei der für den 19. Dezember geplanten Stichwahl stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Darin zeigt sich die extreme Polarisierung in der chilenischen Bevölkerung.

Von Anna Bartholomé
Richtungswahlen in Chile
Gabriel Boric geht gegen Kast in die Stichwahl (foto: @fotografoencampana - Comando Campaña Presidencial de Gabriel Boric (CC BY-SA 4.0))

Mit 28 Prozent der Stimmen liegt der ultrarechte, wenn nicht faschistische José Antonio Kast vorne. Als Sohn eines 1951 nach Chile ausgewanderten deutschen Wehrmachtsoffiziers macht der 55-jährige keinen Hehl aus seiner Nähe zur Pinochet-Diktatur, die die chilenischen Massen von 1973 bis 1990 tyrannisierte. Kast forderte die Amnestie für verurteilte Folterer und Mörder des Regimes - „aus Altersgründen“.

 

Sein politisches Vorbild ist der faschistische brasilianische Präsident Jair Bolsonaro.In Abwandlung des Mauerbaus seines Gesinnungsbruders und Ex-US-Präsidenten Donald Trump fordert er den Bau eines tiefen Grabens an der Nordgrenze Chiles – gegen Migranten aus Venezuela und Haiti, die er allesamt der Kriminalität verdächtigt. Er ist militanter Gegner von gleichgeschlechtlichen Ehen und Schwangerschaftsunterbrechungen. Vor allem aber will er den Besitzstand der Reichen und Superreichen in einem Land verteidigen, das durch Wirtschaftskrise und Corona-Pandemie mit noch tieferen Gräben zwischen Arm und Reich gekennzeichnet ist.

 

25 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang bekam der erst 35-jährige Gabriel Boric. Seine Eltern sind Migranten aus Kroatien und Katalanien; er wuchs im äußersten Süden Chiles auf. Als Führer in großen Studierendenprotesten gegen das privatisierte Bildungswesen machte er sich bereits 2011 einen Namen. Vorne dran stand er auch bei den Massenprotesten 2019 gegen die korrupte, ultrarechte Pinera-Regierung und für eine neue Verfassung. Sie soll die noch aus der Pinochet-Zeit stammende Verfassung ablösen, die aus Chile ein Musterland der neoliberalen Ausplünderung eines neokolonial abhängigen Landes gemacht hat. Sämtliche staatlichen Einrichtungen zur Daseinsfürsorge - vom Gesundheits- zum Bildungswesen, von der Rente bis zu Strom und sogar Wasser waren privatisiert worden. Damit ging ein beispielloser Raubbau an den Naturreichtümern des Landes einher – ob beim gigantischen Übertagebergbau von Kupfer, der industrialisierten Landwirtschaft bis zur Lachszucht. Die Massenproteste richten sich gegen die extreme soziale Ungerechtigkeit ebenso wie gegen die Naturzerstörung. Forderungen dazu formulierte Daniel Boric mit seinem Einheitsfrontprogramm der „Frente amplio“ unter dem Slogan „Apruebo dignidad“ („Ich bin für die Würde“).

 

Ähnlich wie vor wenigen Monaten in Peru wird auch sein Wahlkampf mit einer antikommunistischen Sammelbewegung der Ultrarechten hinter Kast konfrontiert sein. Inwieweit in der ihn unterstützenden Einheitsfront auch Kräfte mit einer grundsätzlichen, sozialistischen Alternative über das Reformprogramm Daniel Boric hinausgehen und Einfluss gewinnen, ist im Moment noch nicht erkennbar.