Koalitionsvertrag
Das antikommunistische Feindbild vom „Verfassungsfeind"
Die Anleihe bei Willi Brandt ist verräterisch: „Mehr Fortschritt wagen“ lautet die Überschrift des Koalitionsvertrags der Ampel-Koalition.
„Mehr Demokratie wagen“ war das Versprechen von Brandt bei seinem Amtsantritt 1969. Dazu heißt es treffend in dem Buch „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“: „Noch heute genießt Willy Brandt großes Ansehen; denn er verstand es wie kaum ein anderer Monopolpolitiker, reaktionäre Politik mit pseudofortschrittlichem Gebaren zu verschleiern. Das hinderte die Brandt/Scheel-Regierung jedoch nicht daran, »Radikalenerlasse« gegen Marxisten-Leninisten oder DKP-Mitglieder im Öffentlichen Dienst zu beschließen. Nach 3,5 Millionen Überprüfungen wurden 11.000 Verfahren eröffnet und 1.500 Berufsverbote erteilt. Marxisten-Leninisten wurden als Linksextremisten diffamiert und vom Verfassungsschutz beobachtet. (…) Der »demokratische« Antikommunismus Willy Brandts erwies sich in der Praxis als ebenso reaktionär wie seine offen reaktionäre Variante.“ (Seite 109)
Die neue Ampel-Regierung unterscheidet sich durchaus in Einzelheiten von der Merkel-Regierung. Aber der Antikommunismus ist die prägende Konstante aller Nachkriegsregierungen in Deutschland. Auch die Ampel-Koalition macht ihn zu einem roten Faden ihres Regierungsprogramms.
Einzelne kleinere reale Verbesserungen gibt es in dem Koalitionsvertrag bei demokratischen Rechten und Freiheiten z.B. in Bezug auf Frauenrechte: Der reaktionäre Paragraf 219a wird abgeschafft, der Informationen über Schwangerschaftsabbruch bestrafte. Das Wahlalter wird auf 16 Jahre gesenkt. In der Flüchtlingspolitik werden der Familiennachzug, die Arbeitserlaubnis und die Einbürgerung für Flüchtlinge erleichtert. Aber durchgängig gilt ein entscheidender Vorbehalt: Demokratische Rechte gibt es nur bei Unterwerfung unter die Verfassung des kapitalistischen Gesellschaftssystems.
In der Gleichsetzung mit dem Faschismus und der Diffamierung des Sozialismus als „intolerant“ folgt die Ampel-Koalition in der Praxis ihrem Vorbild Willi Brandt, der vor 50 Jahren die Berufsverbote gegen Marxisten-Leninisten und andere Linke verhängte. Diese Berufsverbote sollen offenbar wieder aufleben, wenn es nach den Ampel-Koalitionären geht. Versteckt im Unterkapitel „Verwaltungsmodernisierung“ heißt es: „Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können.“ Ähnliche Formulierungen gibt es auch an anderen Stellen, so bei der Aufenthaltserlaubnis von Flüchtlingen, die „sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen“ müssen.
Klaus Lipps vom Bundesausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote protestiert zu Recht dagegen, dass hier wie bei Willi Brandt „der rechtlich völlig unbestimmte Begriff 'Verfassungsfeind' verwendet wird.“ Damit entscheidet letztlich wieder der Geheimdienst über den Entzug von demokratischen Rechten für Linke. Ein Geheimdienst, der in Teilen mit dem Faschismus verstrickt ist, der von dem Kommunistenhasser Maaßen geprägt wurde.
Der 50. Jahrestag der Berufsverbote im Januar 2022 wird ein guter Anlass sein, die antikommunistische Unterdrückung durch die Ampel-Regierung gleich zu ihrem Start anzugreifen. Im Aufruf der Initiativen gegen Berufsverbote heißt es: "Es ist an der Zeit, _ den 'Radikalenerlass' generell und bundesweit offiziell aufzuheben, alle Betroffenen voll umfänglich zu rehabilitieren und zu entschädigen, die Folgen der Berufsverbote und ihre Auswirkungen auf die demokratische Kultur wissenschaftlich aufzuarbeiten."