Kleinbürgerliche Kapitalismuskritik
ZDF-Doku über „Das Kapital im 21. Jahrhundert“
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty wurde mit seinem 2013 erschienenen Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zum viel gelesenen und viel gepriesenen Shootingstar der kleinbürgerlichen Kapitalismuskritiker.
Das ZDF hat über Pikettys Buch jetzt eine umfangreich bebilderte und anspruchsvoll aufgemachte 1 ½-stündige Dokumentation erstellt – ausgestrahlt am 12. November und in der Mediathek verfügbar nur noch bis zum morgigen 12. Dezember 2021.
Damit ja kein Zuschauer etwa auf falsche Gedanken kommt, lässt schon der Anfang keinen Zweifel am Charakter dieser Dokumentation - und auch des Buchs - aufkommen: abschreckende Bilder vom eisernen Vorhang mit der Textzeile „Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus ist so stark, dass nur Beton und Stahldraht die Menschen hält“. Auf seinen Reisen nach Rumänien, Ungarn und Russland habe er erkannt - unterlegt mit suggestiven Bildern von leeren Kühlregalen, ärmlichen Menschen, Staatsterror: "Ich erlebte ein wirtschaftliches und soziales Konzept, das gescheitert war. Das politische System hatte den Menschen Gleichberechtigung versprochen, aber stattdessen Elend und unfassbare Unterdrückung erzeugt. Das kommunistische Versprechen hatte sich als totaler Betrug erwiesen. Der Zusammenbruch des Systems stärkte die Argumente für den Kapitalismus.“
Was er auf seinen Reisen sah, waren die Lebensverhältnisse unter der Herrschaft des bürokratischen Kapitalismus nach dem Verrat am Sozialismus. Zusammengebrochen ist im Ostblock 1989 der bürokratische Kapitalismus. Das verschweigt die durchaus kapitalismuskritische Doku, die über eine Stunde lang den Raubzug des Kapitalismus vom Siegeszug über den Feudalismus bis in jüngster Zeit mit der Steuerbefreiung großer Internet-Konzerne aufzeigt.
Die Dokumentation enthält viele Einseitigkeiten, Fehler und Willkür. Der II. Weltkrieg geschah einfach nur so. Imperialistischer Konkurrenzkampf oder Faschismus? Fehlanzeige. In den oberflächlichen, aber oft durchaus anschaulichen Beschreibungen der Entwicklung des Kapitalismus werden seine Wesensmerkmale und inneren Triebkräfte systematisch verschleiert und geleugnet: Kein Wort von den grundlegenden Erkenntnissen von Marx über die entscheidende Bedeutung des Wertgesetzes im Kapitalismus, die ökonomischen Ursachen von Ausbeutung und Unterdrückung, die gesetzmäßigen Überproduktionskrisen, den Zwang zur Profitmaximierung. Die Arbeiterklasse wird nur als unterdrückte und leidende Klasse, nicht aber als kämpfende und revolutionäre Klasse dargestellt. Kein Wort über die Rolle des Staates im Kapitalismus. Kein Wort über den Imperialismus als Ursache der beiden Weltkriege. Kein Wort von der Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur durch den Kapitalismus.
Anschaulich wird ausgeführt und angeprangert, wie der rasant wachsende Reichtum einiger weniger durch die Kapitaleigenschaften und das bürgerliche Erben eine zunehmende gesellschaftliche Verelendung der Massen einschließlich der Mittelschichten hervorruft. So konzentriert sich die kleinbürgerliche Kapitalismuskritik von Piketty und ZDF lediglich auf die zunehmende Ungerechtigkeit - und die Sorge, dass damit der Kapitalismus in Gefahr kommen könne. Entsprechend lässt der Film am Schluss Piketty sagen: „Wir müssen das Kapital also regulieren. Ansonsten erwarten uns massive Probleme. ... Wenn wir einen friedlichen Zusammenhalt der Gesellschaft wollen, müssen wir die Ungleichheit in den Griff kriegen. Ich bin für einen Kapitalismus, der das Kapital kontrolliert - auf eine demokratischere und gerechtere Weise, die uns den Weg ins 21. Jahrhundert weist.“
Die kleinbürgerlichen Kapitalismus-Kritiker à la Piketty entpuppen sich so als platte Verteidiger des Kapitalismus. Dass man dem die Zähne ziehen kann, ist Illusion. Karl Marx polemisierte in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ gegen den Opportunismus der bürgerlichen Ökonomen: „Der Klassenkampf ... läutete die Totenglocke der wissenschaftlichen bürgerlichen Ökonomie. Es handelt sich jetzt nicht mehr darum, ob dies oder jenes Theorem wahr sei, sondern ob es dem Kapital nützlich oder schädlich, bequem oder unbequem, ob polizeiwidrig oder nicht. An die Stelle uneigennütziger Forschung trat bezahlte Klopffechterei, an die Stelle unbefangner wissenschaftlicher Untersuchung das böse Gewissen und die schlechte Absicht der Apologetik.“ (Marx-Engels-Werke, Band 23, S. 21)