Bemerkenswerte Podiumsdiskussion
Wenn Bauern mit Arbeitern zusammentreffen: Deftig, herzlich, solidarisch!
Ein Novum in ganz Deutschland war eine bemerkenswerte Podiumsdiskussion am 26. November 2021 im Kultursaal Horster Mitte in Gelsenkirchen. Eingeladen hatte die Agrarplattform im Internationalistischen Bündnis zum Thema: „Was können Arbeiter und Bauern voneinander lernen“.
Auf dem Podium diskutierten unter der Moderation von Gerd Zitzner, Agrarplattform: Der Allgäuer Milchbauer Romuald Schaber, der den ersten Milchlieferboykott / Milchstreik in Deutschland 2008 initiiert und geführt hatte; Elmar Hannen, Milchbauer aus Kleve; Christian Link, Bergarbeiter und Sprecher für die bundesweite Bergarbeiterbewegung Kumpel für AUF; der Betriebsrat Steffen Reichelt von Opel Bochum, einer der Aktivisten des zehnjährigen Kampfs der Belegschaft gegen die Stilllegung des Werkes durch den ehemals weltgrößten Autokonzern General Motors. Alle Podiumsteilnehmer und Besucher betonten, dass sie von diesem Abend viel Neues gelernt und eine Fülle von Anregungen mitgenommen haben.
Alle waren sich schnell einig, dass auf die Industriearbeiter und auch die Masse der kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe harte Zeiten zukommen werden. Umso wichtiger ist, Lehren aus den Kämpfen, ihren Siegen und Niederlagen, zu ziehen. Jeden Tag werden hunderte dieser Betriebe in Deutschland zur Aufgabe gezwungen, weil sie dem Druck auf die Erzeugerpreise durch die Konzerne in Verarbeitung und Handel nicht mehr standhalten können. In den großen Industriebetrieben sollen mit Digitalisierung und Umstellung auf E-Mobilität Hunderttausende Arbeitsplätze verschwinden bzw. in Niedriglohnjobs umgewandelt werden.
Romuald Schaber wies darauf hin, dass auf den meisten Höfen inzwischen große Resignation herrscht. Darüber dürfen die spontan aufflammenden Proteste mit Traktoren vor Auslieferungslagern von Aldi, Edeka usw. nicht hinwegtäuschen. Nicht das Wohl der Bauern- und Arbeiterfamilien interessiert die Konzernmanager, sondern der Maximalprofit. Die anwesenden Milchbauern aus einigen Regionen von NRW betonten, dass sie dennoch den Mut nicht verlieren. Die beiden Arbeitervertreter konnten wichtige Erfahrungen einbringen, dass nach großen Kampferfahrungen manchmal sogar längere Zeit Ebbe ist, weil die Arbeiter ihre Erfahrungen verarbeiten müssen.
Aus der nachfolgenden Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich: Heute müssen die Arbeiter und die Bauern sich gegen eine massive Manipulation der öffentlichen Meinung stellen. Früher gab es noch viele Vorbehalte oder auch Unkenntnis zwischen Arbeitern und Bauern. Diese werden Stück für Stück abgebaut. Die Arbeiter und ihre Gewerkschaften werden als Faulenzer hingestellt, die weniger arbeiten und mehr Geld verdienen wollen. Dabei ist der Kampf für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und höhere Löhne heute das wirkungsvollste Mittel gegen die Massenarbeitslosigkeit und im Interesse der Jugend.
Die Bauern werden gegen Verbraucher ausgespielt und pauschal z. B. als Klimazerstörer verunglimpft. Kleine und mittlere bäuerliche Betriebe arbeiten zunehmend für Erzeugerpreise unterhalb ihrer Produktionskosten. Viele Bauern haben deshalb keine Hofnachfolger. In NRW liegt der Altersschnitt der Hofbesitzer bei 53,5 Jahre! Die Bäuerinnen müssen zusätzlich zur Arbeit im Stall oft die Buchhaltung, die Pflege der Alten und Betreuung der Jugend stemmen. Viele nehmen dem Bauern die Hofarbeit ab, wenn er auf die Demo losfährt, oder sie sind selbst dabei. Ohne sie ginge das alles nicht!
Viele Bauern stellen sich noch gegen berechtigte Forderungen nach Umweltmaßnahmen z. B. für Artenschutz. Sie wenden sich dagegen, dass die Kosten dafür auf ihren Rücken abgewälzt werden sollen. Sie sollen mit niedrigsten Erzeugerpreisen auskommen und dann zusätzlich noch Umweltmaßnahmen ergreifen. Über die Erzeugerpreise spricht von den Verantwortlichen in der Politik niemand. Die Hauptursache für die aus der Landwirtschaft stammenden Umweltzerstörungen ist das Diktat des internationalen Finanzkapitals, zu dem auch die Agrarkonzerne und die Lebensmittel-Handelskonzerne zählen. Letztere eignen sich zunehmend den Hauptanteil der Wertschöpfungskette (inzwischen 77 Prozent) an. Dagegen ist der Anteil der Erzeuger in den letzten zehn Jahren von 15 auf 10 Prozent gesunken. Der Verbraucher wird an den Ladentheken und Regalen der Supermärkte über die Herkunft und Bedingungen der Herstellung der Nahrungsmittel mit Etiketten wie „Regionalität“, „Tierwohl“ und „Bio“ getäuscht oder im Unklaren gelassen. Dagegen brauchen wir eine klare Kennzeichnung! Das Vertrauen zwischen den kleinen und mittleren Erzeugern der Nahrungsmittel und der Masse der Verbraucher ist die Basis.
International sind Weltkonferenzen zur Koordinierung der Kämpfe entstanden, als neue wichtige Organisationsformen: Wie die Internationale Bergarbeiterkonferenz oder Weltfrauenkonferenzen. Auch eine erste Weltbauernkonferenz hat 2016 stattgefunden. Anders als bei den medienwirksam aufgemachten und von Konzernen und Regierungen gesponserten Gipfeltreffen werden sie vor allem von Vertreterinnen und Vertretern aus der Basis der kämpferischen und klassenkämpferischen Bewegungen getragen. Gemeinsame Gegner wurden deutlich: Wie internationale Monopole, die versuchen der ganzen Gesellschaft ihre Interessen zu diktieren.
Die Diskussionen zeigten: Es gibt noch viel Gesprächsbedarf, u. a. auch über die gesellschaftliche Perspektive Sozialismus, wie sie die MLPD im Internationalistischen Bündnis vertritt: Wie können perspektivische, gesellschaftliche Lösungen aussehen für die Art und Weise landwirtschaftlicher Arbeit, die nicht mehr dem Diktat der Konzerne unterworfen ist, sondern dem freiwilligen Zusammenschluss der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe, sowie der Arbeiter und Bauern?
Christian Link überreichte zum Symbol einer künftigen vertrauensvollen Einheit der Kumpel mit kleinen und mittleren bäuerlichen Betrieben an Romuald Schaber und Elmar Hannen ein Stück Steinkohle. Nicht Steinmeier hat die letzte geförderte Kohle bekommen, sondern die Bauernvertreter haben jetzt ein Stück der allerletzten zu Tage gebrachten Kohleförderung. Gerd Zitzner erklärte im Schlusswort der Podiumsdiskussion: „Große Ziele beginnen immer mit einem kleinen Schritt, heute wurde ein wichtiger Schritt mit positiver Perspektive für uns alle gemacht.“
Hier geht es zum Rote Fahne TV-Interview mit Romuald Schaber
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