Wahlen in Chile
Erfolg des fortschrittlichen Stimmungsumschwungs gegen Faschismus und Antikommunismus
Mit 55,9 Prozent der Stimmen siegte bei der Präsidentschaftswahl in Chile am 19. Dezember Gabriel Boric, Kandidat der linken Einheitsfront „Frente amplio“ gegen den faschistoiden, wenn nicht faschistischen Gegenkandidaten Antonio Kast. Das ist ein großer Erfolg der seit Jahren immer wieder neu anschwellenden Massenrebellion - errungen im harten antikommunistischen Gegenwind.
Der erst 35-jährige Gabriel Boric kommt aus einer kroatisch-katalanischen Einwandererfamilie. Er wurde bekannt als führende Kraft einer 2011 einsetzenden Studierenden-Bewegung, die sich gegen die enormen Studiengebühren an den weitgehend privatisierten Universitäten auflehnte. Vorne dran stand er auch bei den Massenprotesten 2019 gegen die korrupte, ultrarechte Pinera-Regierung und für eine neue Verfassung. Sie soll die noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur (1973 - 1990) stammende Verfassung ablösen, die aus Chile ein Musterland der neoliberalen Ausplünderung eines neokolonial abhängigen Landes gemacht hat. Sämtliche staatlichen Einrichtungen zur Daseinsfürsorge waren privatisiert worden: Vom Gesundheits- bis zum Bildungswesen, von der Rente bis zu Strom und sogar Wasser. Damit geht ein beispielloser Raubbau an den Naturreichtümern des Landes einher, ob beim gigantischen Übertagebergbau von Kupfer über die industrialisierte Landwirtschaft bis zur Lachszucht. Die Massenproteste richten sich gegen die extreme soziale Ungerechtigkeit ebenso wie gegen die Naturzerstörung.
Das griff Gabriel Boric in seinem Wahlprogramm unter dem Titel „Apruebo Dignidad“ - „Ich bin für die Würde“ auf und setzte sich dafür ein, dass der Staat wieder das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie das Rentensystem übernimmt, um es den Massen zugänglich zu machen. Er macht sich stark für die Rechte von Frauen, Indigenen und Homosexuellen. Das Programm von Boric und seine Forderungen, die Privatisierungen von für die Massen grundlegenden Bereichen rückgängig zu machen, sind reformistisch. Seine Wahl ist aber Ausdruck eines Linkstrends unter den Massen und ihrem Wunsch nach grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen. Er positioniert sich gegen Antonio Kast, den „zweiten Bolsonaro“, wie er nach seinem Vorbild, dem faschistischen Präsidenten von Brasilien, benannt wird.
Glühender Hass gegen das Recht auf Schwangerschaftsunterbrechungen und gleichgeschlechtliche Beziehungen kennzeichnet das Familienprogramm von Kast. Gegen Indigene, besonders die kämpferischen Mapuche, wettert er; zur Abschreckung von Migranten aus Haiti oder Venezuela kündigte er an, einen Grenzgraben zu ziehen. Als Sohn eines 1951 nach Chile ausgewanderten deutschen Wehrmachtsoffiziers macht der 55-Jährige kein Hehl aus seiner Nähe zur Pinochet-Diktatur. Vor allem aber wollte er durch Steuererleichterungen den Besitzstand der Reichen und Superreichen in einem Land verteidigen und mehren, das durch Wirtschaftskrise und Corona-Pandemie mit noch tieferen Gräben zwischen Arm und Reich gekennzeichnet ist.
Bemerkenswerte Unterstützung wurde Kast in seinem Wahlkampf aus Deutschland zuteil. Die AfD-Spitzenpolitikerin Beatrix von Storch reiste mit ihrem Ehemann Sven von Storch zur Wahlkampfunterstützung nach Chile, wie zuvor zu einem Freundschaftsbesuch bei Bolsonaro in Brasilien. Ähnlich wie Antonio Kast ist auch Sven von Storch in Chile in einer adligen deutschen Einwandererfamilie geboren, als deren Güter in Mecklenburg nach dem II. Weltkrieg enteignet wurden. In zahlreichen Initiativen agiert er nach seiner Heirat in Deutschland für die Wiedererlangung der Besitztümer und als verdeckter Propagandist der AfD.
Wenn Kast mit einem so offen ultrareaktionären Programm 44 Prozent der Stimmen erreichen konnte, zeigt das die extreme Polarisierung in dem Land. Das Beispiel Peru – wo mit Pedro Castillo ebenfalls ein fortschrittlicher Kandidat gegen eine massive antikommunistische Gegenströmung gesiegt hatte - zeigt, dass die ultrareaktionären Kräfte keine Minute zögern, um selbst die Verwirklichung von Reformprogrammen zu sabotieren. In Chile besteht die Herausforderung, marxistisch-leninistische Kräfte zu stärken und sich für eine sozialistische Perspektive einzusetzen.