Argumente
Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing positioniert sich für Impfpflicht
Die neue Virus-Variante Omikron setzt sich immer mehr durch und lässt die Zahl der Corona-Neuinfektionen rasant ansteigen. Bringt da die Impfpflicht, zu der sich Bundesregierung und Bundestag immer noch nicht durchringen können, überhaupt noch etwas?
Die Süddeutsche Zeitung hat heute in ihrem Münchner Lokalteil ein Interview mit Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, veröffentlicht. Er erklärt darin, warum er seine Hoffnung trotz Durchbruchsinfektionen auf die Impfung setzt und dass aus seiner Sicht die Booster-Impfung zur Grundimmunisierung gehört.
"Die Impfung schützt besser vor Omikron als ursprünglich nach ersten Labordaten gedacht. Die Labordaten, die Sie (die Interviewerin, Anmerkung der Red.) meinen, hat die Virologin Sandra Ciesek im NDR-Corona-Podcast vorgestellt, und sie waren vernichtend. Ja, da hatte die Wissenschaftsgemeinschaft erstmal einen kleinen Schock erlebt. Null Prozent neutralisierende Antikörper bei doppelt Geimpften gegen die Omikron-Variante und nur 25 Prozent nach einem Booster: Diese Daten haben sich aber klinisch nicht bestätigt. Man weiß mittlerweile, dass durch die dreifache Impfung ein Schutz von etwa 70 Prozent gegen die Infektion mit der Omikron-Variante besteht. Das ist nicht nichts. Das heißt, selbst die Erstgenerationsimpfstoffe wirken gegen eine Variante mit vielen Mutationen wie Omikron. Und zwar besser, als beispielsweise die Impfstoffe gegen die Grippe, da haben wir nur etwa 50 Prozent Wirkungsgrad. Und vor schweren Omikron-Verläufen schützt die Dreifach-Impfung inklusive Booster laut neuster Studienlage zu 88 Prozent. Es geht dabei um die gängigen mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna und auch um den Impfstoff von Astra-Zeneca. ...
Aus infektiologischer Sicht kann ich diese Frage (die Frage, ob eine Impfpflicht jetzt überhaupt noch etwas bringt, d. Red.) eindeutig mit Ja beantworten. Für den individuellen Schutz macht es Sinn, weil man ja gut vor schweren Verläufen geschützt bleibt. Und auch zur Etablierung eines Schutzes in der Gesellschaft macht es weiterhin Sinn. (...) Je mehr geimpft sind, desto mehr Infektionsketten können unterbrochen werden. Ich könnte mir eine Impfpflicht für drei Impfungen gefolgt von Booster-Impfungen mit einer zeitlichen Befristung von ein bis zwei Jahren gut vorstellen. Danach müsste man die Dinge erneut bewerten. ... Aus meiner Sicht muss man den Begriff jetzt auf drei Impfungen ausweiten. Das ist nichts Neues, wir kennen das beispielsweise von der FSME-Impfung. In Israel hat man bereits nach vier Monaten das Gesundheitspersonal und die alte Bevölkerung viertgeimpft – und damit die Antikörper immerhin um das Fünffache steigern können. Es stehen allerdings noch Analysen aus, wie lange der Impfschutz anhält und wie hoch die Rate der Durchbruchsinfektionen ist. ... Die Strategie einer Durchseuchung ist für mich ein No-Go. Dazu wissen wir zu wenig über die Folgen etwa von Long Covid und auch über die akute und langfristige Gefährlichkeit der Omikron-Variante. Die endemische Phase wird erst kommen, wenn wir eine ausreichende Kontrolle des Infektionsgeschehens durch eine Impfung haben."