Anzahl der betroffenen Erwerbstätigen überproportional gestiegen
Noch nie wurde ein höherer Armutswert für Deutschland gemessen
Im Dezember erschien der paritätische Armutsbericht 2021. Ihm zugrunde liegen die Zahlen des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes für 2020.
Seit 2019 stieg die Armut in Deutschland um 0,2 Punkte auf 16,1 Prozent. Das bedeutet, dass jetzt 13,4 Millionen Menschen zu den Armen gezählt werden müssen. Noch nie wurde ein höherer Armutswert für Deutschland gemessen. Damit steigt die Armutsquote seit 2006 kontinuierlich, während gleichzeitig das Vermögen Superreicher weiter anwuchs.
Besonders betroffen sind kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Erwerbslose und Migranten. Überproportional stieg jedoch in der Pandemie die Zahl der betroffenen Erwerbstätigen auf 35 Prozent. Immer mehr Menschen müssen mit Einkommen ab oder knapp oberhalb der Schwelle zu Hartz IV auskommen. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung arbeitet im Niedriglohnsektor. Rund 700.000 ausländische Pflegekräfte in Deutschland arbeiten oft rund um die Uhr für meist weniger als 1000 € im Monat. Zunehmend betroffen sind Selbständige und Soloselbständige. Dazu gehören viele Kursleiterinnen und Kursleiter an Volkshochschulen. Der Anteil der Einkommensbezieher von unter 1500 Euro vergrößerte sich in der Pandemie (bis Juli 2021) bei den Selbständigen mit weiteren Beschäftigten von 5 auf 11 Prozent und bei den Soloselbständigen von 17 auf 23 Prozent. Immer weiter greifen auch sogenannte GIG-ECONOMY-PLATTFORMEN um sich: Firmen wie Hermes, Myhammer und andere vergeben zeitlich befristete Aufträge wie Fahrradkurierdienste flexibel und kurzfristig an Arbeitssuchende und geringfügig Beschäftigte ohne Sozialversicherung, vornehmlich Migranten mit schlechten Deutschkenntnissen zu katastrophalen Arbeitsbedingungen mit Mindestlöhnen.
Sehr gute Informationen findet man derzeit im Deutschlandfunk-Kultur: „Von der Hand in den Mund. Wenn Arbeit kaum zum Leben reicht.“ 35 Prozent der von Armut Betroffenen sind erwerbslose Menschen. Ein großer Teil betreut jedoch kleine Kinder oder alte Menschen oder befindet sich in einer laufenden Ausbildung oder Weiterqualifikation. So sind mehr als 280.000 pflegende Angehörige so arm, dass sie Hartz IV beantragen müssen.
Eine der am stärksten steigenden Formen der Armut in Deutschland ist die Altersarmut. Mehr als ein Fünftel der Rentnerinnen und Rentner (20,7 Prozent) hatte 2019 ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze, wie das Statistische Bundesamt im Auftrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes berechnete. Deutlich überdurchschnittlich von Armut betroffen sind Kinder und Jugendliche (20,2 Prozent) sowie junge Erwachsene bis 25 Jahre (26,0 Prozent).
Vor allem die steigenden Mieten sind zu einem neuen Armutsrisiko geworden. Für über elf Millionen bedeuten die Wohnkosten eine ernste finanzielle Belastung insbesondere bei einem Wohnungswechsel. In vielen Großstädten sind die Angebotsmieten zwischen 2014 bis 2019 um 30 Prozent oder mehr gestiegen. Die Menschen mit geringem Einkommen sind viel stärker von steigenden Preisen betroffen als Besserverdiener. Denn sie geben den größten Teil ihrer Einkommen aus für Lebensmittel, Wohnen und Energie.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen beiden Regelsatzurteilen von 2010 und 2014 für den Fall einer solchen Situation zwingend eine kurzfristige Anpassung vorgeschrieben. Die Regelleistungen für Betroffene von Hartz IV-Grundsicherung und Asylleistungen waren schon immer unzureichend, aber viele Menschen hofften, dass die Ampelkoalition wirklich etwas ändern würde. Sie hat ein Ende von Hartz IV versprochen. Das neue „Bürgergeld“ ist nur eine Namensänderung, aber keineswegs eine Überwindung von Hartz IV.