Differenzen über Weg der AfD
Jörg Meuthen – gescheiterter Antifaschist?
Nach Bernd Lucke und Frauke Petry ist zum dritten Mal ein Parteivorsitzender aus der AfD ausgetreten. Thüringens Innenminister Georg Maier bewertete den Austritt von Jörg Meuthen als „Ausdruck einer weiteren Radikalisierung“ der AfD (1). Dann wäre also Meuthen ein Kämpfer gegen die offen reaktionären und faschistischen Kräfte in der AfD gewesen?
Meuthen selbst formuliert es anders: „Ich glaube, dass die AfD eine Entwicklung nimmt, die keinen weiteren politischen Erfolg in diesem Land verheißt“.2 Der Streit geht also darum, dass die AfD mit offenen Faschisten ihre Funktion als Wegbereiterin des Faschismus nicht weiter erfolgreich ausüben kann. Meuthens Austritt ist nicht nur Kalkül, sondern auch Ausdruck einer krisenhaften Entwicklung der AfD.
Meuthen war über sechs Jahre an der Spitze der AfD und hat die gemeinsame Strategie der AfD wesentlich mitgeprägt als Wegbereiterin des Faschismus in Deutschland. Er hat aktiv daran mitgewirkt, dass erstmals nach dem II. Weltkrieg eine faschistoide Partei in Deutschland eine Massenbasis erlangen konnte. Dazu hat er die Faschisten lange in Schutz genommen und gefördert. Und seine zuletzt offenere Kritik an der faschistischen Strömung in der AfD trug ebenfalls noch dazu bei, deren Wesen zu verschleiern. Im ZDF-Interview nach seinem Austritt beschönigt er die faschistische Richtung als „reaktionär, beliebig und nationalistisch“.3
In den Jahren 2016, 2017 und 2018 hat er bei dem berüchtigten „Kyffhäuser-Treffen“ des faschistischen Flügels Reden gehalten. 2018 nahm er auch an der „Sommerakademie“ des faschistischen „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda teil, wo die Strategie und Taktik der Faschisten wesentlich ausgearbeitet wird.4 Mit dem Erfolg bei der Bundestagswahl 2017 mit 12,9 Prozent und bei den Landtagswahlen der Jahre 2016 bis 2019 war das Potenzial für die faschistoide AfD weitestgehend ausgeschöpft. Das antifaschistische Bewusstsein der Arbeiterklasse und der Massen äußerte sich in zunehmenden Protesten gegen die AfD. Der Staat musste reagieren mit einer „Beobachtung durch den Verfassungsschutz“, obwohl Teile des Verfassungsschutzes die Faschisten gerade im Osten erst aufgebaut hatten.
Der eigentliche Streit ging darum, wie die Massenbasis der AfD erweitert werden könne: Meuthen setzte darauf, reaktionäre Teile der CDU und FDP im Westen zur AfD herüberzuziehen und eine Koalition mit diesen Parteien zu bilden. Deshalb war er auch empört, als der AfD-Vorstand gegen seinen Willen das faschistoide CDU-Mitglied Max Otte als Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufstellte, denn damit wurden die Türen zur CDU zugeschlagen.
Björn Höcke und der offen faschistische Flügel setzten dagegen auf einen Durchbruch der AfD in einzelnen Ost-Bundesländern mittels einer sozialen, nationalen und völkischen Demagogie. Dazu fördern sie gezielt auch die weltanschauliche Verwirrung zwischen Links und Rechts, wie sie bei den „Querdenkern“ vorherrscht. AfD-Vertreter sind treibende Kräfte vieler Corona-Demos. Zu dieser Taktik gehören auch gezielte Umzüge von Faschisten, etwa von Dortmund nach Chemnitz. In dem Buch „Solidarischer Patriotismus“ aus Schnellroda wird diese Taktik offen ausformuliert: „Wenn es gelänge, in einzelnen ostdeutschen Modellregionen eine 'Wende im kleinen' herbeizuführen (…) dann könnte (…) ein Dominoeffekt einsetzen, der weitere Bundesländer nachfolgen ließe.“5
Meuthens Taktik war spätestens mit den Landtagswahlen im Frühjahr 2021 in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz offen gescheitert, wo die AfD trotz Querdenker-Demos massiv Stimmen verlor. In der Konsequenz beschloss der AfD-Parteitag kurz darauf ein Wahlprogramm für die Bundestagswahl, das in seiner völkischen Ausrichtung und sozialen Demagogie ganz auf die angestrebte Massenbasis im Osten zugeschnitten war. Diese Taktik ist bei der Bundestagswahl 2021 weitgehend aufgegangen. Während die AfD im Westen massiv verlor, blieb sie in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen stabil oder gewann sogar noch Stimmen und Wahlkreise dazu.
Und hier zeigt sich, wie verlogen der scheinbare Widerstand von Meuthen gegen die „Radikalen“ in der AfD war: Meuthen steht für einen offen massenfeindlichen, „neoliberalen“ Kurs von Teilen der Bourgeoisie. Sein Ziel war die Abschaffung der gesetzlichen Rentenversicherung, damit die Kapitalisten keinen Beitrag mehr bezahlen müssen. Jeder sollte selbst in eine private Rentenversicherung einzahlen. Dieser Kurs wurde verharmlosend als „wirtschaftsliberal“ bezeichnet und galt als „gemäßigt“. Meuthen geriet allerdings mit seinem „neoliberalen“ Kurs auch bei der Bourgeoisie zunehmend ins Abseits. So analysiert das Buch „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Opportunismus“: Mit der neuen Weltwirtschafts- und Finanzkrise ab Mitte 2018 „beeilten sich plötzlich viele bürgerliche Ökonomen, die Theorie des 'Neoliberalismus' zu verwerfen. Sie ersetzten das zuvor fast fanatisch propagierte 'freie Spiel der Marktkräfte' nunmehr wundersam durch die Forderung nach einem verstärkten Eingreifen des Staats in die monopolisierte Wirtschaft.“6
Höcke dagegen setzt schamlos auf soziale Demagogie, verspricht das Blaue vom Himmel herunter, schreibt hemmungslos fortschrittliche Rentenforderungen bei Linken ab. Sein Leitspruch war der „solidarische Patriotismus“, nach einem Buchtitel aus der faschistischen Ideenschmiede von Schnellroda. Diese soziale Demagogie war Meuthen immer zuwider, weil sie auch seine angestrebte Massenbasis in der nichtmonopolistischen Bourgeoisie verschreckt. Er wollte deshalb unbedingt solche „staatspaternalistische oder sozialistische“ Forderungen verhindern.7
Nach seinem Austritt versucht Meuthen, sich als aufrechter Demokrat zu inszenieren, der einen heldenhaften Kampf gegen die Faschisten in der AfD geführt hätte. Und er erweist der AfD einen letzten Dienst, indem er sie verharmlosend als „allenfalls noch ostdeutsche Regionalpartei“ bezeichnet. Auf diese Verharmlosung werden die Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht hereinfallen. Die MLPD und das Internationalistische Bündnis werden umso mehr die soziale und völkische Demagogie der AfD entlarven und angreifen. Wir werden insbesondere mit der Buchreihe „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise“ dazu beitragen, die weltanschauliche Verwirrung unter den Massen aufzulösen.
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