Leipzig
Viel Diskussionsbedarf in Sachen Ukraine-Krieg
Pünktlich um 18 Uhr begann am Donnerstag auf dem Leipziger Willy-Brandt-Platz eine von der MLPD angemeldete Kundgebung. Protestiert wurde gegen die Weltkriegsgefahr und den russischen imperialistischen Überfall auf die Ukraine.
Das offene Mikrofon wurde reichlich genutzt, um sich auszutauschen und Klarheit zu gewinnen. Die Erklärung der MLPD gegen den Krieg und der Standpunkt gegen Putin und gegen die NATO stießen auf große Zustimmung. Mehrmals bedankten sich Zuhörerinnen und Zuhörer für die differenzierte Diskussion.
Ein anderes Bild bei der zeitgleich beginnenden, aber länger andauernden großen Kundgebung und Demonstration auf dem Marktplatz. Hier gab es mit bis 5000 Menschen sicher eine der größten Proteste gegen den Krieg am Donnerstagabend in Deutschland. „Nach der Kundgebung der MLPD gingen wir mit einigen Freunden noch zum russischen Konsulat“, berichtet ein Korrespondent. Dorthin demonstrierten ca. 1500 Menschen vom Marktplatz aus. Unser Korrespondent war kurz vor dem Eintreffen der Demonstration beim Konsulat. An der Spitze der eintreffenden Demonstration wehten zahlreiche ukrainische Nationalflaggen. Es gab zwar einige Schilder, aber wenige Transparente. Erst im Laufe der Kundgebungen in den Gesprächen stellte sich heraus, was hier für ein Sammelsurium an Kräften am Werk war. „Wir trafen auf Autonome, Gewerkschafter (unter anderem die örtliche DGB-Vorsitzende), Jugendliche, viele ukrainische Menschen aber auch ukrainische Faschisten, bürgerliche Politiker und ihre Jugendverbände."
Um die Größe der Demonstration zu verstehen, muss man wissen, dass Leipzig die Partnerstadt von Kiew ist und eine große ukrainische Gemeinde in Leipzig lebt. In den verschiedenen Kundgebungsreden wurden – allerdings recht verklausuliert - verschiedene Standpunkte deutlich. Relativ eindeutig forderten Redner aus der Ukraine die NATO-Staaten auf, an der Seite der Ukraine in den Krieg zu ziehen. Die Kriegsschuld wurde allein beim aktuellen Aggressor Putin verortet. Einzelne fortschrittliche Standpunkte kamen auch zur Sprache, wie die Forderung "Jetzt erst recht" in Leipzig Flüchtlinge aufzunehmen, aus der Ukraine, Deserteure aus der russischen Armee, aber eben auch Flüchtlinge aus Afrika usw. Es gab Redner der FDP-Jugendorganisation und der Jugendorganisation der Linkspartei. In unterschiedlichen Nuancen sprachen sie sich für die imperialistische Diplomatie aus, die sie natürlich so nicht nannten.
In Gesprächen waren viele mit unserer Losung "Gegen Putin und gegen die NATO!" einverstanden. Es gab aber auch nicht wenige aggressive Reaktionen von ausdrücklichen NATO-Unterstützern. Wichtig war immer, erst einmal zu klären, dass eine Position gegen die NATO keine Rechtfertigung für Putins aktuelle Aggression ist. Viele fühlen sich dahin gedrängt, für eine der beiden Seiten Partei zu ergreifen. Gegen Putin und seine Diktatur waren hier heute alle – zu Recht! Aber das reaktionäre pro-Nato Oligarchen-Regime der Ukraine wurde immer wieder zu einer unterstützenswerten Demokratie verklärt. Ganz anders als bei der Kundgebung der MLPD eine Stunde vorher, wo auch auf die jahrelange Drangsalierung russischstämmigen Ukrainer durch ukrainische Faschisten aufmerksam gemacht wurde. Nicht um Putin zu verteidigen, sondern um zu klären, dass dieser Krieg von beiden Seiten ungerecht ist.
Selten war so deutlich wie hier, wie wertvoll die Erklärungen und Analysen der MLPD sind. Sie gehen differenziert von den Interessen der internationalen Arbeiterklasse aus – in allen Ländern. Auf Erstaunen und Interesse stieß die Zusammenarbeit in der ICOR mit Organisationen aus Russland und der Ukraine – und Dutzenden weiteren Ländern. Man kann auf einer solchen Demonstration nicht als MLPD Flagge zeigen, aber muss die Auseinandersetzung suchen. Der Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kam heute hierher, weil er gegen den Krieg ein Zeichen setzen wollte. Man merkte aber auch am zum Teil kritiklosen Applaus für reaktionäre Forderungen und einseitige Parteinahme, dass viel Diskussionsbedarf da ist,.