Briefwechsel zum Ukraine-Krieg
"Die Lage aller kriegsführenden Länder untersuchen"
Zur Erklärung des Zentralkomitees der MLPD (ZK) vom 22. Februar entwickelte sich ein Briefwechsel zwischen einem Genossen der MLPD aus Solingen und einem Genossen des ZK. Die Rote Fahne Redaktion dokumentiert hier den Antwortbrief des Genossen aus Solingen:
Der Genosse aus Solingen antwortete am 27. Februar:
„Lieber Genosse, vielen Dank für deine differenzierte Kritik vom 25. Februar zu meinem Brief vom 24. Februar. Im Kern stimme ich deiner / eurer Kritik zu: Man muss unterscheiden zwischen der NATO / USA als weltweiter – wie ihr neu jetzt richtig qualifiziert - Hauptkriegstreiber zum einen und Russland als konkretem neuimperialistischen Aggressor in diesem Krieg zum anderen.
Meine Kritik am ersten Flugblatt, dass ‚Russland zum aktuellen Hauptkriegstreiber geworden‘ sei, verwechselt dagegen den konkreten Aggressor mit dem allgemeinen Hauptkriegstreiber. Das war ein Verstoß gegen die dialektische Methode: Ein Ding kann erst qualifiziert werden in Zusammenhang aller Wechselbeziehungen und seiner Geschichte – so wie du schreibst: ‚Hier muss die gesamte Geschichte der Entwicklung der Widersprüche, die wirtschaftliche, politische und militärische Seite beachtet werden.‘
Ein Genosse meiner Kreisleitung, dem ich meinen Brief auch zukommen ließ, antwortete mir prompt im gleichen Sinn wie ihr. Er schrieb u.a.: ‚Man darf diesen Konflikt nicht aus dem gesamten weltweiten imperialistischen Ringen um die Vorherrschaft auf der Welt herauslösen. Im I. Band des ‚Proletarischen Widerstands‘ auf Seite 10 zitiert Willi (Dickhut) Lenin, dass für die Bestimmung des wahren Charakters des Krieges die Lage in allen kriegsführenden Ländern untersucht werden müssen. Erst daraus kann ich den Wechsel der Hauptseite im Widerspruch untersuchen nicht allein aus diesem Angriff.‘
Lenin forderte in diesem Zitat: ‚Um diese objektive Lage darstellen zu können, darf man nicht Beispiele und einzelne Daten herausgreifen (…), sondern man muss unbedingt die Gesamtheit der Daten über die Grundlagen des Wirtschaftslebens aller kriegsführenden Mächte und der ganzen Welt nehmen.‘ Lenin Werke Band 22, S.194).
Vor diesem Hintergrund ändert die konkrete Aggression Russlands gegenüber der Ukraine nichts an der allgemeinen Weltlage mit den USA als Hauptkriegstreiber.
Weiter hast du recht, dass in meiner falschen Argumentation, nunmehr den Hauptstoß gegen Russland zu richten, zwei Gefahren liegen: Zum einen die Gefahr einer Anpassung und Unterordnung an die gegenwärtig massive (sozial-)chauvinistische Kriegshetze der Bourgeoisie gegen Putin; sondern zum andern – was damit eng zusammenhängt - der Verzicht auf den Hauptstoß gegen die eigene Bourgeoisie. Deren Notwendigkeit hat sich heute mit dem offen aggressiven Kurswechsel der Bundesregierung noch einmal bestätigt.
Meine nur zum kleineren Teil berechtigte Kritik war in der Hauptseite ein Schnellschuss, der drei Ursachen hatte:
- Eine nur oberflächliche einseitig negative Anwendung der dialektischen Methode.
- Eine tendenzielle Loslösung von Linie (Hauptstoß gegen den Feind im eigenen Land).
- Sowie eine tendenzielle Anpassung an die spontane Massenempörung über dem Krieg mit der Gefahr des Opportunismus.
Das muss mir eine Lehre und ein Maßstab in der revolutionären Wachsamkeit sein.
Ich habe es sehr begrüßt, dass ihr diese Auseinandersetzung öffentlich gemacht habt. Das ist eine Anregung zum aktiven ideologischen Kampf in dieser gerade wieder sehr komplizierten Lage sowie zu einem überzeugenden Umgang mit Kritik und Selbstkritik.
Mit revolutionären Grüßen“