Wie im Betrieb über den Ukraine-Krieg diskutiert wird

Wie im Betrieb über den Ukraine-Krieg diskutiert wird

Ganz Russland müsste die Arbeit niederlegen!

Als ich nach Kriegsbeginn wieder zur Arbeit ging, traf ich auf meinen Kollegen, der russisch-deutscher Abstammung ist. Über seine Frau hat er Bekannte in der Ukraine. Ich erkundigte mich nach ihnen und drückte ihm meine Solidarität aus, wofür er sich bedankte.

Von einem Korrespondenten

Er fing dann sofort an zu fragen, ob man nicht private Söldner in die Ukraine schicken könne, denn dann wäre es kein NATO-Fall. Ich meinte, dass er sich doch eher über die Kriegsführung Gedanken macht statt über den Frieden; wir müssten doch den Protest organisieren. Er antwortete, dass Demonstrationen nichts bringen würden. Ich wollte ihm schon widersprechen, da sagte er: „Das ganze Land müsste die Arbeit niederlegen“ – er meinte Russland. Recht hat er!

 

Mit blauem und gelbem Klebeband dekorierte er unsere Vorrichtung und schrieb „No War“ drauf. Dann fragte er mich, ob er deswegen hier im Betrieb Ärger kriegen könne. Ich: „Das sollen sie mal versuchen! Dann ist hier aber der Teufel los!“ Er grinste. Dann kamen weitere Kollegen dazu, bis wir ca. eine Handvoll waren. Darunter auch unser direkter Vorgesetzter, der jedoch selber aus Arbeiterreihen kommt. Von mir als bekanntem Marxisten-Leninisten wollten die Kollegen wissen, ob ich auch wirklich Russland bzw. Putin als Aggressor verurteilte. Dann ging es heiß her, wie es weitergehen wird. Dass auch die NATO wegen ihrer Osterweiterung nicht unschuldig ist, dem stimmten meine Kollegen auch zu.

 

Mein Chef meinte, es müssten doch jetzt Waffen in die Ukraine geliefert werden. Ich kritisierte die massive Aufrüstung durch die Bundesregierung, denn diese bereite nicht den Frieden vor, sondern immer nur einen Krieg, den wir auch noch bezahlen müssten. „Stattdessen brauchen wir doch mal einen ordentlichen Lohnnachschlag!“ Das wurde zwar als richtig angesehen, aber wie solle man das durchsetzen?

 

Mein Kollege, mit dem ich am Anfang noch alleine diskutiert hatte, brachte die akute Gefahr eines Dritten Weltkriegs ein, was unbedingt verhindert werden müsse. Er wusste auch, dass durch die vielen LKW und Panzer der atomar verseuchte Boden um Tschernobyl aufgewühlt wurde und sich verbreitet. Andere glaubten, nach einer Woche sei der Krieg wieder vorbei.

 

Ein Blick auf die Uhr: Wir haben fast eine Stunde in der Produktion gestanden und diskutiert! Da bei uns kein Band läuft und wir die Arbeit gemeinsam wieder reingeholt haben, fällt es zwar im Produktionsplan nicht allzu sehr auf – trotzdem war es eine spontane Pausenversammlung. Einige Kollegen haben schon für die Flüchtlinge aus der Ukraine gespendet. Sie würden gerne noch mehr tun. Eine Aktion der IG Metall lässt sie für 1 Euro Spende Friedenstauben ausmalen. Das wird der Ernsthaftigkeit und den großen Sorgen der Kollegen nicht gerecht. Und so werden wir andere Wege finden: Zum Beispiel die Teilnahme von russischen und ukrainischen Bergarbeitern bei der dritten Internationalen Bergarbeiterkonferenz zu ermöglichen.

 

Das schlug ich meinem Kollegen vor, als er mich gestern fragte, was denn die MLPD zu dem Krieg sagte. Das habe ich zwar schon mehrfach getan, aber ich erklärte ihm gerne noch mal, dass wir gegen jede imperialistische Aggression sind. Ohne mit der Wimper zu zucken akzeptierte er diese Erklärung und fragte weiter, ob es denn auch Kriege gäbe, die nicht imperialistisch seien. Das führte ich am Beispiel des kurdischen Kampfes in Rojava gegen den IS aus. Auch dem stimmte er zu. Da wir beide mit Werkzeug in der Hand bei unserer Arbeit standen, über die wir in der lauten Halle hinweg riefen, mussten wir uns dieser wieder widmen. So laufen unsere Auseinandersetzungen täglich und in kleinen Schritten weiter.