Große Proteste
Spanien gibt grünes Licht für die Besetzung Westsaharas
Am Samstag, dem 26. März 2022, protestierten in Spanien tausende Menschen, vor allem Exil-Saharauis, mit Parolen wie „Freiheit für die Westsahara, Polisario wird siegen“. Pedro Sánchez, „sozialistischer“ Regierungschef Spaniens, hatte am 14. März in einem Brief an König Mohamed VI. von Marokko dessen Annexion der Westsahara anerkannt.
Nach Lesart der bürgerlichen Medien hat er damit der „Erpressung“ des marokkanischen Königs nachgegeben, der durch das gezielte Durchlassen von Flüchtlingen in die EU eine diplomatische Krise provoziert hatte. Dabei ist Sánchez nur dem Weg gefolgt, den Donald Trump und Frank-Walter Steinmeyer schon vor Monaten vorausgegangen sind.
Die diplomatische Krise hat Sánchez nun überwunden, doch handelt er sich damit einen explosiven Konflikt in seiner eigenen Regierung und der Bevölkerung ein, auch wenn die Demonstrationen noch relativ klein sind. In Madrid waren es laut Bericht der Zeitung „El País“ 2000 Menschen, vor allem Exil-Saharauis, die mit Parolen wie „Sánchez, pass auf, die Westsahara lässt sich nicht verkaufen!“ und „Freiheit für die Westsahara, Polisario wird siegen!“, protestierten.
In Sevilla, Andalusien, gingen 1000 Menschen auf die Straße. Hier gibt es traditionell starke Verbindungen der Solidarität zur saharauischen Bevölkerung. Spendensammlungen und Aufbauleistungen für die saharauischen Flüchtlingscamps in Algerien und „Friedensferien“ für bisher 15.000 sahaurische Kinder bei andalusischen Familien haben starke emotionale Verbindungen geschaffen. Insbesondere für die spanische Linke hat die Solidarität mit der spanischen Ex-Kolonie Westsahara eine große Symbolkraft. Wohlweislich verhielten sich die spanischen Regierungen bisher öffentlich „neutral“ zu der Frage, ob Westsahara ein Teil Marokkos sein solle oder nicht.
Westsahara: Ein Spielball der Imperialisten
Seit dem Abzug Spaniens 1976 hält Marokko den größten Teil Westsaharas besetzt und unterbindet alle Versuche, ein Referendum über die Zukunft des Landes abzuhalten, so wie es die UN offiziell beschlossen hat. 2007 machte Marokko stattdessen den „Vorschlag“ einer „seriösen, glaubwürdigen und realistischen Autonomie“ Westsaharas – innerhalb des marokkanischen Königreiches. „Seriös, glaubwürdig und realistische“ - Diese drei Wörter tauchen seitdem immer wieder auf. Mit eben diesen Worten verkündete Donald Trump 2020, wenige Tage vor Ende seiner Amtszeit, dass er die Souveränität Marokkos über Westsahara anerkenne – nur kurz nachdem Marokko den Waffenstillstand mit der saharauischen Befreiungsbewegung „Frente Polisario“ gebrochen hatte. Auch Biden nahm diesen Beschluss nie zurück. Mit solcher Rückendeckung konnte die marokkanische Herrscherklasse nun in die Offensive gehen. Im Mai 2021 ließ Marokko ungehindert 10.000 Flüchtlinge die spanische Enklave Ceuta stürmen und zeigt sich auch sonst weniger eifrig, Flüchtende vor der Überfahrt nach Spanien aufzuhalten. Es inszenierte eine diplomatische Krise mit der EU, die schließlich dazu führte, dass im Januar diesen Jahres plötzlich auch Frank-Walter Steinmeier im Namen Deutschlands den Vorschlag des marokkanischen Königs „seriös und glaubwürdig“ fand – so wie Frankreich, Serbien usw. Sánchez‘ originelle Formulierung im Superlativ, Marokkos bescheidenen Vorschlag als „die seriöseste, glaubwürdigste und realistischste Grundlage für eine Lösung“ des Westsahara-Konfliktes anzuerkennen, trennen nur wenige Zeilen von dem Hinweis, dass er es nun „kaum erwarten“ könne, endlich den König wieder zu sehen, um mit ihm über die „Regulierung der Migrationsströme im Mittelmeer und Antlantik“ zu sprechen.
Eine Krise teilt sich in drei
Dieses absonderliche Geschacher um Menschenrechte stößt sogar in den bürgerlichen Medien auf Kritik. Der Journalist Enric González prangert in der spanischen Tageszeitung „El País“ unter dem Titel des deutschen Wortes „Realpolitik“ den Pragmatismus der EU an, die sich nur aus Eigeninteresse für die Ukraine interessiert und Kriegsleid wie im Jemen oder in Westsahara ignoriert. Die rassistische Trennung zwischen „guten“ ukrainischen und „schlechten“ afrikanischen oder arabischen Flüchtlingen tritt krass hervor. Sogar von der bürgerlichen Opposition im Parlament wird der Beschluss in Frage gestellt, die „Neutralität“ in der Frage der Staatsgründung aufzugeben.
Woher kommt dieser Widerspruch? Natürlich hatte die bürgerliche spanische Politik nie ein besonderes Interesse an den Rechten der saharauischen Bevölkerung – an den Rohstoffvorkommen der Westsahara dagegen schon. Es scheint den spanischen Imperialisten bisher wohl eine Option gewesen zu sein, dass die zum Teil spanischsprachige Bevölkerung der Saharaui mehr Einfluss auf diese Rohstoffe zuließe, als das eher vom französischen Imperialismus unterstütze Marokko. Außerdem bezieht Spanien über 40 % seines Erdgases von Algerien. Und dieses wiederum geriert sich als enger Verbündeter der Westsahara. EU-Außenministerin von der Leyen deutet aber andere Prioritäten an. Sie war kürzlich zu Besuch in Marokko und bezeichnete das Königreich als primären ökonomischen und kommerziellen Partner in Afrika. Nachdem die USA Tatsachen geschaffen und Frankreich und Deutschland die EU in der Frage auf Linie gebracht haben, konnte sich die spanische Bourgeoisie nun also nicht mehr widersetzen und wird darauf hoffen müssen, über den EU-Imperialismus ein Stück vom saharauischen Kuchen abzubekommen. Jetzt jedoch zittern die spanischen Machthaber, wie Algerien auf den Deal reagieren wird? Hat man sich mit dem diplomatischen Frieden in Marokko die Gefahr einer Versorgungskrise erkauft?
Regierungskrise oder Verschärfung der Krise des Opportunismus?
Yolanda Díaz, Sánchez‘ Vizepräsidentin und Vertreterin der Izquierda Unida (Vereinigte Linke), behauptet, erst aus den Medien von der Westsahara-Entscheidung erfahren zu haben! Mit Podemos und der PCE (Kommunistische Partei Spaniens) sind in Spanien Parteien an der Regierung beteiligt, deren revisionistische und reformistische Linie nun voll unter Spannung gerät. Während von deren Führern bisher hauptsächlich Beschwerden kommen, dass Sánchez diese „sensible“ Angelegenheit ohne Absprache getroffen hat, dürfte an der Basis ehrliche Empörung herrschen. Doch die bürgerliche Presse rechnet schon damit, dass sich die Führung letztlich dem neuen Kurs unterwerfen wird, um ihren Regierungseinfluss auf „wichtigere Dinge“ zu behalten. So soll demnächst ein Hilfspaket für die von der Inflation getroffene Bevölkerung geschnürt werden, und dass will man sich schließlich nicht auf der Straße oder den Betrieben mühselig erkämpfen müssen! Ob die Basis da mitspielt?
Was aber auch immer an Briefen zwischen Marokko und den EU-Imperialisten hin- und her verschickt werden, eins ist sicher: das saharauische Volk und die Frente Polisario werden sich dem nicht unterordnen und ihren Kampf weiterführen und werden dabei mit Sicherheit auf die von Illusionen gereinigte Solidarität der spanischen Bevölkerung zählen können.