Regierungschef von den Massen verjagt
Übergang zu einer revolutionären Gärung in Sri Lanka
Seit Wochen sind die Massen in Sri Lanka auf der Straße und fordern den Rücktritt des Präsidenten Gotabhaya Rajapaksa und seines Bruders Mahinda Rajapaksa.
Über das erste April-Wochenende brach eine gesamtgesellschaftliche Krise aus (mehr dazu hier). Diese reift weiter aus und hat am Montag eine neue Stufe erreicht. Es entwickelt sich eine revolutionäre Gärung mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den letzten Tagen.
Bedeutend ist die Entwicklung in der Arbeiterklasse. Am 28. April gab es den ersten landesweiten Generalstreik seit 40 Jahren. Dazu hatten 1000 Gewerkschaften aufgerufen. Es folgte ein weiterer Generalstreik am 6. Mai, der durch einen sogenannten „Hartal“ ergänzt wurde. D. h.: auch Kleinbetriebe wurden geschlossen und die gesamte Wirtschaft kam zum Erliegen. Millionen Arbeiter auf der ganzen Insel legten die Arbeit nieder, auch in den Freihandelszonen, in Krankenhäusern, Schulen, Verwaltungen und im Verkehrswesen.
Es schlossen sich die Selbständigen, die arme Landbevölkerung und Kleinunternehmer an. Die Arbeiter schlossen sich über ethnische und religiöse Grenzen hinweg zusammen, also Singhalesen und Tamilen, Muslime, Christen, Hindus und Buddhisten. Das ist von besonderer Bedeutung, da die Herrschenden in Sri Lanka über Jahrzehnte, vor allem in Krisenzeiten, die nationalistische und ethnische Spaltung betrieben haben, was auch seine Wirkung hatte. Das heißt, dass das Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse sich gegen diese Spaltung entwickelt.
Diese wachsende Selbstständigkeit der Arbeiterklasse bewegte Präsident Gotabhaya Rajapaksa am selben Abend dazu, erneut den Ausnahmezustand zu verhängen. Damit kann er Militär einsetzen, Ausgangssperren und Zensur verhängen, willkürliche Verhaftungen vornehmen, Streiks und Proteste verbieten. Regierungschef Mahinda Rajapaksa versammelte am Montag Hunderte Anhänger der Regierung, hetzte sie gegen die Demonstranten auf und ließ sie mit Stöcken und Knüppeln bewaffnen. Diese aufgehetzte Meute griff dann die friedlichen Demonstranten gegen die Regierung in dem Park Galle Face Green, im Zentrum von Colombo, an. Dabei sind acht Menschen getötet worden und 219 wurde verletzt.
Daraufhin strömten Tausende Menschen trotz Ausgangssperre und massivem Polizei- sowie Militäraufgebot in den Park und überall auf der Insel gingen Hunderttausende auf die Straße. Unter anderem Beschäftigte des nationalen Krankenhauses in Colombo und Postangestellte legten aus Protest gegen dieses Vorgehen der Regierung spontan die Arbeit nieder. Als Folge traten am Montagabend Mahinda Rajapaksa und das ganze Kabinett zurück! Nach seinem Rücktritt versuchten Tausende Demonstranten in sein Haus einzudringen. Nachdem er mit seiner Familie evakuiert wurde, zogen sie zum Marinestützpunkt in Trincomalee an der Nordostküste, weil sie dort den Aufenthalt der Familie Rajapaksa vermuteten. Laut Associated Press wurden von Demonstranten gegen die Regierung 104 Gebäude und 60 Fahrzeuge in Brand gesetzt. Regierungsnahe Gruppen wurden von Demonstranten gejagt. Busse, die Regierungs-Unterstützer transportierten, wurden zertrümmert und in Brand gesetzt. Häuser von Regierungsanhängern wurden angegriffen und einige Geschäfte in Brand gesetzt.
Die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Massen werden verschärft. Militär und Polizei sind angewiesen „Gesetzesbrecher“ und „Plünderer“ auf offener Straße zu erschießen. Seit Mittwoch fahren gepanzerte Fahrzeuge in den Straßen der Hauptstadt Colombo und es patrouillieren Truppen. Die Massen lassen sich von Ausgangssperre, Schießbefehl, offener Repression jedoch nicht abhalten. Auch der Rücktritt des Regierungschefs Mahinda Rajapaksa, der beschwichtigend wirken sollte, hat die Lage nicht beruhigt. Es handelt sich um ein vorwiegend spontanes revolutionäres Aufbegehren der Massen.
Im Telefongespräch berichtet ein Genosse der Frontline Socialist Party FLSP über die aktuelle Situation in Sri Lanka: „Die Demonstranten wurden von der Regierung in einem öffentlichen Gebiet angegriffen. Der Präsident ist nicht bereit, abzutreten. Jeden Tag verschlimmert sich die Situation für die Massen. Die Inflation liegt bei 30 Prozent und betrifft vor allem Kraftstoffe, Gas und Lebensmittel. Man kann von einer revolutionären Krise sprechen. Anfangs war es eine spontane Bewegung. Die nächsten zwei bis drei Wochen sind entscheidend. Es wird daran gearbeitet, dass sich die Bewegung in eine soziale Revolution verwandelt. Die FLSP wächst und wir gewinnen viele neue Mitglieder. Wir versuchen, die Arbeiterklasse zu vereinigen. Ich möchte den deutschen Genossen sagen, dass die Möglichkeit eines revolutionären Aufstands besteht.“