Launiger Beitrag

Launiger Beitrag

Eigentlich bin ich der große Gewinner von Flexibilisierung und Transformation

Diesen launigen Beitrag hielt ein Kollege bei einer Veranstaltung zum Thema „Flexibilisierung und Transformation“.

Servus!

 

Wie ihr wisst, bin ich fast mein ganzes Leben beschäftigt in der Automobil-Zulieferindustrie. Hier im Lande produziere ich hauptsächlich Zylinderkopfdichtungen, das sind so Verbrennungsmotorteile, die man in naher Zukunft nicht mehr braucht. Zumindest nicht in Europa. Zur Zeit tut man mich digitalisieren und transformieren zu einem "klimaneutralen, wettbewerbsfähigen" Mitarbeiter der "in 10, 20 oder 30 Jahren auch noch zur führenden Industrienation" gehört. Der Schlüssel dabei ist, zumindest aus meiner Erfahrungssicht der letzten Jahren, das Wort "Flexibilisierung" gewesen. Und man sagt es mir dabei, dass ich eigentlich der große Gewinner bin.

 

Warum bin ich ein Gewinner? Weil die Firma transformiert, nicht nur mich, sondern auch die Produktion. Wir sind voll dabei bei der Brennstoffzellen und Batterieproduktion. Es wird behauptet, dass niemand seine Arbeit verlieren wird, aber das sind reine Behauptungen. Es wird zwar weitere Qualifizierung angeboten, aber was ist, wenn jemand nicht 8 Stunden Sichtprüfung auf spiegelnden Metallplatten machen kann oder wenn man eben doch die SAP-Bedienung nicht versteht, weil man damit noch nie was zu tun hatte?
Wenn ich das alles aber schaffe, bleibe ich Gewinner!

 

Aber halt, ich als Gewinner habe auch schon was bekommen. Statt 10 Schichten in der Woche habe ich inzwischen 21 bekommen, das ist doppelt so viel, und vieles davon freiwillig. Manchmal sage ich souverän freiwillig "ja", ich mach doch bei den dauerhaften Sonderschichten am Wochenende mit, um danach von Montag bis Freitag zuhause alleine vor der Glotze zu sitzen. Erstens, muss ich keine Chefs mehr sehen, und zweitens, meine Team-Kollegen werden schon kompensieren, dass ich nicht da bin. Hauptsache, unsere Maschinenlaufzeit liegt bei absoluten 69 % und der Profit steigt weiter. Ich bekomme auch was davon zusätzlich zu meinem Lohn, für die letzten drei Jahre: 120 Euro Gewinnbeteiligung in Form von Spritgutscheinen, 40 Euro pro Jahr, 77 Cent pro Woche, 15 Cent pro Tag. Wenn ich mich weigere, freiwillig zu flexibilisieren, tut das unser Betriebsrat für mich. Auch freiwillig, so wie ich gehört habe.

 

Ich darf auch bei wiederholten Umfragen immer wieder freiwillig wählen zwischen mehreren Schichtmodellen, ihr wisst schon, wie das so läuft, also … ich darf freiwillig entscheiden, ob ich in der ersten Woche 6 Tage arbeite, und danach 4 Tage und 5 Tage, oder ich fange doch mit 4 Tagen an, aber in Nachtschicht, wo ich dann in Spätschicht am Samstagabend bis 22 Uhr schufte und so weiter. Seid ihr mitgekommen? Danach wird behauptet, ja so wolltest du das doch haben, nicht wahr?

 

Ich bin nicht nur zeitlich flexibilisiert. Inzwischen darf ich öfter mal zwei Stufen unter meiner Lohngruppeneinstufung arbeiten. Dabei hält man mir vor Augen, Schwarz auf Weiß und in Großformat direkt vor meiner Nase, für wie wenig Geld die chinesischen und indischen Kollegen das Gleiche tun. Und das dabei entscheidende Wort ist neuerdings "Disziplin"! Mit dieser Disziplin "marschieren wir auf unserem gemeinsamen Weg", sagte man mir bei der letzten Betriebsversammlung, die 100% digital war. In kleinen Gruppen saßen wir vor der Leinwand*. Wisst ihr, wie dabei der Schlusstagesordnungspunkt heißt? Klar, wie immer, "Sonstiges und Fragen", nur die Leinwand konnte mir nichts beantworten. Zumindest nicht freiwillig.

 

Ja, jetzt kapiere ich langsam, es ist nicht der Begriff "Flexibilisierung", der die letzten Jahren geprägt hat, sondern die Freiwilligkeit, mit der ich dabei mitgemacht habe. Aus Angst vor den kommenden Zeiten, aus Unwissenheit, was ich für Alternativen habe oder was? Dass die Zukunft immer was Neues mitbringt, ist nichts Neues und ist auch gut so. Dass unsere Zukunft Alternativen hat, aber nicht im Kapitalismus, das weiß ich schon lange. Dass die Alternative heißt: "Beteiligt euch in positiver gewerkschaftlicher Arbeit, organisiert euch in der einzigen Arbeiterpartei Deutschlands und überwindet die Misere, indem ihr den echten Sozialismus aufbaut", das müssen wir noch weiter verbreiten. Das ist unsere wahre Freiwilligkeit und Flexibilität, sehr gefragt in nächster Zukunft.

 

Vielen Dank!