Argument
Der Imperialismus in aller Munde
Über Jahre war die MLPD eine der wenigen Organisationen in Deutschland, die den Begriff des Imperialismus verwendete. Vielerorts hat sie damit Aufklärungsarbeit darüber betrieben, was eigentlich die Ursachen für die zahlreichen Missstände auf dieser Welt sind.
So beispielsweise bei der Jugendbildungsveranstaltung von Gabi Fechtner auf dem vorletzten Pfingstjugendtreffen, wo sie mit Hunderten Teilnehmern diskutierte, was es mit dem Imperialismus eigentlich auf sich hat.
Die MLPD wurde dafür reichlich angefeindet und verlacht, mit welch altmodischen Wörtern sie doch hantiere! Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt bis heute in ihrem Politiklexikon an, dass als Zeitalter des Imperialismus lediglich der Zeitraum zwischen 1870 und 1918 gelte.
Doch urplötzlich ist der Imperialismus wieder in aller Munde! Selbst der Kanzler widerspricht seiner eigenen Bildungszentrale. So versichert Scholz in seiner Regierungserklärung vom 22. Juni, dass er mit einem „imperialistischen Russland“ unter Putin keine Partnerschaft eingehen könne. Und schon vor vier Wochen machte er deutlich, dass er „Imperialismus in Europa nicht akzeptieren“ werde. Oho! Udo Lielischkies, ehemaliger ARD-Korrespondent in Moskau, warnt vor einem „imperialistischen Virus“, mit dem Putin sein Volk infiziert habe.¹
Auch Redakteure von Focus, dem Stern oder der Süddeutschen Zeitung mussten lernen, wie man das Leninsche Unwort „IMPERIALISMUS“ buchstabiert. Selbst der Cicero warnt vor einem „verblendeten Imperialismus“.
Selbstredend ist in deren Sprechart der einzige Imperialismus weltweit derjenige Russlands. Überall sonst auf der Welt sei dieses Kapitel natürlich nach wie vor mit dem Jahr 1918 abgeschlossen. Eine wissenschaftliche Begründung dieser Kehrtwende in der Politologie oder eine Art Historikerstreit hierüber lässt sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung noch nicht finden.
Doch der Leser denkt häufig weiter, als der Redakteur es erlaubt. Wenn Putins Politik imperialistisch ist, bestünde da nicht wenigstens die Möglichkeit, dass auch die Politik Chinas und der Türkei, ja vielleicht selbst der USA oder Deutschlands auch imperialistisch ist? Bei den Protesten gegen den bevorstehenden Nato-Gipfel in Madrid jedenfalls wurde die Nato schon als "imperialistisches Bündnis" bezeichnet.
In einem Kommentar im Deutschlandfunk wird jedenfalls treffend festgestellt: „Mit Appeasement² sind Imperialisten noch nie eingehegt worden.“³