Großbritannien
Aufschwung der Arbeiterkämpfe
Am 21., 23. und 25. Juni streikten in Großbritannien 40.000 Bahnarbeiter und legten damit gut die Hälfte des Bahnverkehrs lahm. Am 21. Juni schlossen sich 10.000 Kolleginnen und Kollegen der Londoner U-Bahn dem Streik an. Das war der erste große Streik der Eisenbahner seit 1989. Auch die Uber-Beschäftigten beteiligten sich mit einem 24-Stunden-Streik mit der Losung: „Stoppt die Uber-Gier“. Der gemeinsame Streik gegen dreizehn private Eisenbahnunternehmen und den halbstaatlichen Streckennetzbetreiber Network Rail ist - nach der Zersplitterung als Folge der Privatisierung von British Rail in den frühen 1990er-Jahren ein großer Erfolg. Beteiligt am Streik sind vor allem Rangierkräfte, Schaffner, Beschäftigte zur Aufrechterhaltung der Bahntechnik, Ticketverkäufer und Beschäftigte im Streckendienst.
Die Gewerkschaft RMT¹ fordert nach drei Jahren Lohnverzicht 7 Prozent mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen und lehnt die Infragestellung der Rentenansprüche ab. Außerdem kämpft sie gegen die Pläne der Regierung, durch Druck auf die Eisenbahnunternehmen dort weitere Tausende Arbeitsplätze, u. a. durch Schließung von Ticketschaltern und Bahnhöfen, zu vernichten. 70 Prozent der Bevölkerung unterstützen den Streik der Bahnarbeiter.
Da die Bahnunternehmen bei der letzten Verhandlung nur je 4 Prozent mehr Lohn für 2022 und 2023 angeboten hatten, rief die RMT am 27. erneut zu einem 24-stündigen Streik auf. „Angesichts einer derzeitigen Inflationsrate von 9 Prozent und einer zu erwartenden von 11 Prozent ist das nicht zu akzeptieren!“
Der Streik der Bahnarbeiter ist Teil einer Streikwelle, die sich seit dem letzten Jahr in Großbritannien entwickelt. Von April 2021 bis April 2022 hat der TUC² über 300 Lohnauseinandersetzungen in verschiedenen Branchen gezählt – so viele wie zuletzt vor fünf Jahren.
Am 30. Juli streikten 5500 Lokführer und Angestellte von acht privaten Unternehmen und legten einen Großteil des Bahnverkehrs lahm. Sie haben weitere Streiks im August angekündigt, ebenso wie die Gewerkschaft der Bahnangestellten TSSA.
Im August und September sind Streiks in weiteren Branchen und Sektoren angekündigt:
So wollen im August 1900 Hafenarbeiter des wichtigsten Containerhafens in Felixstone die Arbeit niederlegen, um gegen das miese Angebot von 5 Prozent zu streiken. Weitere Streiks sind geplant bei Ryanair und British Airways, bei der Post, im Bildungswesen, bei British Telecom und im Gesundheitswesen.
Die Schwäche der Kämpfe liegt auch im niedrigen Organisierungsgrad der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Gewerkschaften. Er beträgt etwa 23 Prozent. Und sie liegt in der Zersplitterung der Gewerkschaften. So gibt es allein bei der Eisenbahn drei Gewerkschaften. Der RMT-Vorsitzende Mick Lynch begrüßte deshalb den Beitritt der Lokführergewerkschaft ASLEF zum nationalen Bahnkonflikt: „Es zeigt, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter aller Berufsgruppen, von Reinigungskräften, Catering-Personal, Wartungspersonal bis hin zu Lokführerinnen und Lokführern, von realen Lohnkürzungen, Angriffen auf die Arbeitsplatzsicherheit und die Arbeitsbedingungen die Nase voll haben. Wenn sich Bahngewerkschaften und andere zusammenschließen, sind sie eine unaufhaltsame Kraft am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft.“ Und: "Ich wäre sogar für einen Generalstreik. Das hängt natürlich auch von anderen ab, aber wir brauchen eine koordinierte und gleichzeitige Streikwelle."
Angriffe auf das Streikrecht
Der Aufschwung von Streiks in Großbritannien hat die Monopole und konservative Regierung nervös gemacht. Vor der Wahl 2019 hatte Boris Johnson noch versprochen, nach dem Brexit werde er die Arbeitnehmerrechte in Großbritannien ausweiten. Letzte Woche jedoch trat ein Gesetz in Kraft, das es Unternehmen erlaubt, während Streiks kurzfristig qualifizierte Kurzarbeiter einzustellen, damit die Auswirkungen der Streiks begrenzt bleiben.
Noch weiter gehen die Pläne der Noch-Außenministerin Liz Truss, die sich um das Amt der Premierministerin bewirbt und schon als „neue eiserne Lady“ gehandelt wird. Truss hat in den letzten Tagen angekündigt, sie werde schon in den ersten 30 Tagen ihrer Amtszeit weitere Regeln einführen, um Streiks zu erschweren, und damit "die ehemalige Politik von Margaret Thatcher" zu vollenden, wie sie es formulierte.⁴ Dazu gehören u. a. die Vorschrift, dass eine Mindestzahl von Beschäftigten bei einem Streik weiterarbeiten muss, ein Streik vier Wochen vorher anzukündigen ist und dass innerhalb von sechs Monaten nur eine maximale Zahl von Streiktagen erlaubt sein soll. Alles Maßnahmen, die verhindern sollen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter mit einem selbständigen Streik ihre Forderungen durchsetzen können.
Diese Angriffe auf die demokratischen Rechte und Freiheiten, hier besonders das Streikrecht, sind international kein Einzelfall. Sie reihen sich in das Verbot des Streiks der Arbeiter auf einer Erdölplattform durch die norwegische Regierung, dem Einsatz von Polizei gegen streikende Hafenarbeiter in Hamburg bei einer Demonstration von ver.di, der Forderung des Monopolvertreters Rainer Dulger, wegen des gewerkschaftlichen Streiks der Hafenarbeiter den „nationalen Notstand“ auszurufen und nicht zuletzt gegen die Repressalien gegen Gewerkschaftsführer der italienischen Basisgewerkschaften SI Cobas und USB ein. Sie sind Ausdruck der Faschisierung der Staatsapparate als Kehrseite des Übergangs in eine aggressive Außenpolitik zur Vorbereitung eines Dritten Weltkriegs. Dies stellt die Arbeiterklasse vor die Herausforderung, die Kämpfe um ihre sozialen Interessen, die Verteidigung und Erweiterung ihrer demokratischen Rechte und Freiheiten und den Kampf gegen den Dritten Weltkrieg zu koordinieren und zu kooperieren und dabei starke revolutionäre Parteien aufzubauen.