Gabi Fechtner antwortet auf einen Leserbrief
„Es geht uns bei dieser Einschätzung keineswegs darum, Panik zu verbreiten"
Die folgende Antwort schrieb Gabi Fechtner, Parteivorsitzende der MLPD, an einen Leser, der zuvor in einem Leserbrief bezüglich ihrer Aussage, dass sie jeden Tag damit rechnet, dass ein Weltkrieg ausbrechen kann, das Folgende geschrieben hatte: „Auch für mich, als Erwachsener, eine neue Qualität, die ich bisher in 'Rote Fahne News' noch nicht lesen konnte. Ich habe echt Schwierigkeiten, dies ... so zu sagen, ohne wirklich triftige Anhaltspunkte nennen zu können.'“
„ … Ich habe deine Kritik am Artikel zu meiner Veranstaltung auf dem Sommercamp erhalten, in dem es heißt: „Gabi sagte gleich zu Anfang (...): 'Ich rechne damit, dass jeden Tag ein Weltkrieg ausbrechen kann'.“
Du schreibst, du hast 'echt Schwierigkeiten, dies ... so zu sagen, ohne wirklich triftige Anhaltspunkte nennen zu können.'
Du kannst davon ausgehen, dass wir diese Einschätzung nicht ohne diese triftigen Anhaltspunkte so in die Welt setzen. Dass sie wiederum so ist, haben natürlich nicht wir zu verantworten, aber wir halten auch nichts davon, den Massen und gerade der Jugend gegenüber die Lage zu beschwichtigen.
Du hast recht, wenn du schreibst, dass Kapitalismus / Imperialismus grundsätzlich Krieg bedeutet. In unserer Broschüre 'Der Ukrainekrieg und die offene Krise des imperialistischen Weltsystems' haben wir analysiert, dass diese allgemeine Entwicklung konkret eine neue Qualität erreicht hat: 'Die Eskalation des Ukrainekriegs war verbunden mit der Wende zu offen aggressiver Außen- und Militärpolitik fast aller imperialistischen Länder zur Vorbereitung des Dritten Weltkriegs. Sämtliche Länder der NATO rüsteten nach Beginn des Kriegs massiv auf, erhöhten drastisch ihre Militärausgaben und schickten zusätzliche Truppenkontingente nach Osteuropa.'
Auf der Veranstaltung auf dem Sommercamp hatte ich diese Aussage zudem an eine aktuelle konkrete Analyse gekoppelt: Gerade hatte die NATO eine Luftmission über den baltischen Ländern verkündet, die am nächsten Tag beginnen sollte. Deutsche, italienische und ungarische Luftwaffe sollen dort den Luftraum sichern – also auch im direkten Grenzgebiet zu Russland.
Schon zuvor wurde die verschärfende Strategie der sich bekämpfenden Lager deutlich. Russlands erklärtes Ziel ist es, mindestens die südliche und östliche Ukraine dauerhaft zu annektieren. Selenskyj und die westlichen Imperialisten wiederum wollen dieses Gebiet ausdrücklich 'vollständig' zurückerobern, inklusive Krim. Das geht aber nur um den Preis der maximalen Eskalation mit einer 'millionenfachen Armee' (wie es Selenskyj sagte) ausgestattet mit schweren westlichen Waffensystemen. Das neuimperialistische Russland wiederum wird sich nicht einfach zurückschlagen lassen.
Die NATO legte auf ihrer Tagung Ende Juni in Madrid eine neue strategische Konzeption vor. Sie geht ausdrücklich von der 'Möglichkeit eines Angriffs auf die Souveränität und territoriale Integrität der Bündnispartner' durch Russland aus, was nichts anderes als die Ausrufung des Bündnisfalls und damit einen Weltkrieg bedeuten würde.
Was ist die dort beschlossene Versiebenfachung der schnellen Einsatzbereitschaft von NATO-Truppen anderes als die Vorbereitung auf einen Krieg: Bisher mussten 40.000 Soldaten innerhalb von 15 Tagen einsatzfähig sein. Nach dem neuen Modell sind es insgesamt über 500.000 innerhalb von 30 bis 180 Tagen.
Weitere Kriegsherde, wie Taiwan oder Syrien (Erdogan kündigt seit Wochen eine weitere Offensive zur Eroberung Nordsyriens an), zeugen davon, dass der Ukraine-Krieg nicht der einzige Schauplatz des imperialistischen Kräftemessens ist.
Es kann die Verschärfung von Seiten einer Kriegspartei sein, die die andere provoziert, es kann auch ein Unfall oder Zufall sein – aber so wie die Kräfte, hochgerüstet bis an die Zähne, sich direkt gegenüberstehen, ist es tatsächlich realistisch, dass so ein Weltkrieg unmittelbar ausbrechen kann. Natürlich gibt es auch gegenläufige Tendenzen, die großen Probleme, zum Beispiel der westlichen Imperialisten, die Bevölkerung für ihren Krieg zu gewinnen, ihre Schwierigkeiten, Verbündete zu finden, das Scheitern ihrer Sanktionspolitik usw.
Es geht uns bei dieser Einschätzung keineswegs darum, Panik zu verbreiten. Schließlich haben wir in unserer Analyse ebenso dargelegt, dass die aktuelle Phase nicht nur die Möglichkeit eines Dritten Weltkriegs bietet, sondern ebenso die Revolutionierung der Arbeiterklasse und breiten Massen und der Aufschwung revolutionärer Kämpfe – auch zur Verhinderung eines Weltkriegs.
Gerade weil wir so entschiedene Gegner dieses Krieges sind, ist es nötig, mit aller Klarheit diese Qualität zu benennen, um die Massen für einen aktiven Widerstand zur Verhinderung des Dritten Weltkriegs zu mobilisieren. ...
Viele Grüße
Gabi Fechtner