Siemens Schaltwerke Berlin
Kampf um jeden Arbeitsplatz
Am Donnerstag, 11. August, wurde mitten in der Ferienzeit ein Teil der Belegschaft online darüber informiert, dass der Vorstand die Produktion von gasisolierten Freiluft-Schaltanlagen aus dem Werk Berlin nach Hangzhou / China und Querantano / Mexiko verlagern will. Davon sind 534 von knapp 2000 Kollegen direkt betroffen! Ein Schock für die ganze Belegschaft. Die Geschäftsleitung will ihre Maßnahmen noch als „sozialverträglich“ hinstellen: Entlassung von Leiharbeitern, Entfristungen der ehemaligen Azubis, Versetzungen und Altersteilzeit. Für die dann immer noch „übrigen“ 211 Kollegen soll ein sogenannter „Sozialtarifvertrag“ abgeschlossen werden. Damit wird aber kein einziger Arbeitsplatz erhalten. Er ist reiner Betrug, um die Abwicklung zu organisieren und die Belegschaft ruhig zu halten.
Ein Hammer ist auch die scheinbar umweltpolitische Begründung: Die gasisolierten Freiluft-Schaltanlagen sind mit einem Hexafluoridgas (SF6) gefüllt, das ab 2028 in Europa nicht mehr produziert und verkauft werden darf, weil es rund 6 Prozent der Treibhausgase weltweit ausmacht. Siemens will sich hier reinwaschen, als ob China und Mexiko nicht zu dieser Welt gehörten. Die umweltpolitisch zumindest bessere Alternative von Vakuum-Schaltanlagen, die auch in Berlin produziert werden, haben eine deutlich geringere Profitmarge. Deshalb lehnt Siemens Energy die von Kollegen und auch der Umweltgewerkschaft lange geforderte vollständige Umstellung darauf bisher strikt ab. Das ist die von der Regierung gelobte Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie in der Realität.
In der Belegschaft wird jetzt heftig darum gerungen, ob und wie der Kampf um jeden Arbeitsplatz geführt werden kann. Er muss auch gegen die Spaltungsversuche in Stammbelegschaft und Leiharbeiter geführt werden. Noch warten einige auf den Betriebsrat. Klar ist aber eine breite Ablehnung des scheinheiligen Greenwashings. Viele lehnen auch ab, dass für die betroffenen Kollegen keine Arbeit mehr da wäre. In den meisten der verbleibenden Abteilungen arbeiten die Kollegen im Moment mit Pflicht-Samstagen und Überstunden. Sie könnten durch eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich weiter reduziert werden.
In einer Veröffentlichung der Kollegenzeitung "Hochspannung" heißt es: "An Dienstag 16. August fand im Schaltwerk Siemens Energy Berlin eine Betriebsrats-Informationsveranstaltung in der Montage der Freiluftschalter statt. Es war gar nicht genug Platz im Raum, damit alle interessierten Kollegen teilnehmen konnten. Der Betriebsratsvorsitzende, Rüdiger Gross, sprach sich gegen die Vernichtung der Arbeitsplätze aus. Er kritisierte, dass die Freiluftschalter-Produktion in Berlin geschlossen werden soll. Eine Kollegin der Hochspannungsschaltermontage verlas eine Erklärung von Kolleginnen... . Sie kritisierte den Versuch der Geschäftsleitung, die Arbeitsplätze gegen notwendigen Umweltschutz auszuspielen..., machte deutlich, dass es Siemens nur um die Steigerung des Profit ginge. Eine Vertrauensfrau sprach sich , aus den Negativ-Erfahrungen anderer Siemens-Belegschaften mit dem Sozialtarifvertrag - dagegen aus. Stattdessen sei es notwendig, einen Kampf um jeden Arbeitsplatz und für die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu führen. Und statt Angriffe auf unsere Arbeitsplätze brauchen wir einen kräftigen Lohnnachschlag und ein allseitiges, vollständiges und gesetzliches Streikrecht!... In einer Meinungsumfrage stimmten mehr als 95 Prozent für eine Protestkundgebung mit der IG Metall. Damit konnte eine skeptische Haltung aufgebrochen werden."
Von Verkaufseinsätzen der MLPD an den Betriebstoren wird berichtet: "Die Stimmung unter den Kollegen ist klar gegen die Verlagerung und die damit verbundene Arbeitsplatzvernichtung. Auch gibt es eine große Zustimmung dazu, dass die umweltschädlichen Schaltanlagen durch Vakuum-Schaltanlagen ersetzt werden sollen – weltweit. Vermehrt positioniert sich ein Teil der Kollegen, dass die scheibchenweise durchgeführte Reduzierung der Belegschaft bei Siemens und Siemens Energy gestoppt werden muss. Ein noch kleiner Teil beginnt auch - aufgrund tiefgehender Auseinandersetzungen mit uns - den Zusammenhang zur Gesamtsituation zu ziehen. So sagte ein Kollege: „Die pressen bei den Energiepreisen usw. schon immer mehr aus uns raus und jetzt wollen sie noch an unsere Arbeitsplätze. Wie lange soll das noch weitergehen?“ Ein anderer Kollege sagte auch mit Blick auf die akute Weltkriegsgefahr: „Das ist Kapitalismus. Eigentlich bräuchten wir ein ganz anderes Gesellschaftssystem, den Sozialismus.“ Und er kaufte ein Parteiprogramm. Die größte Gruppe vertritt nach wie vor die Position, wir können die Arbeitsplatzvernichtung nicht einfach akzeptieren, aber wir können auch nicht wirklich etwas dagegen machen. Eine absolute Minderheit hat resignative Positionen.
In der größten Gruppe wirkt eine Abwartehaltung, dass die Gewerkschaftsführung etwas organisiert. Dies verbindet sich mit Erscheinungen parallel dazu doch nach einem individuellen Ausweg zu suchen, oder zu hoffen, selbst einen der Ersatzarbeitsplätze zu bekommen. Hier spielen auch Erfahrungen mit Kollegen in Zusammenhang mit dem letzten „Abfindungsprogramm 2019“ eine Rolle, wo viele berichten, dass die Kollegen Geld bekommen und direkt einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben. Das zeigt, dass wir die Auseinandersetzung gegen den kleinbürgerlich-ökonomistischen Einfluss eng mit der Förderung der Klassenselbständigkeit verbinden müssen.
Die MLPD ist voll solidarisch mit dem berechtigten Kampf um jeden Arbeitsplatz. Sie unterstützt alle dafür notwendigen Schritte des Kampfes. Sie hat viel Know-How, wie selbständige Streiks geführt werden und wie man mit dem süßen Gift der sogenannten „sozialverträglichen“ Arbeitsplatzvernichtung fertig wird.
Die Aktivitäten zu 40 Jahre MLPD vom 26. bis 28. August in Gelsenkirchen bieten viele Möglichkeiten, neue Verbündete zu finden und den Weg des Kampfes zu diskutieren. Die Einladung wird gerne angenommen, die verbindliche Teilnahme muss aber erst noch organisiert werden. Wir sehen uns!