Dortmund
Beim tödlichen Polizeieinsatz haben Beamte die mutmaßliche Gefahr erst geschaffen!
Zwölf Polizistinnen und Polizisten waren am 8. August zur Jugendhilfeeinrichtung St. Elisabeth gefahren, weil ein suizidgefährdeter 16-jähriger Flüchtling aus dem Senegal im Innenhof saß und sich ein Messer vor den Bauch hielt.
Dazu Oberstaatsanwalt Carsten Dombert gegenüber dem Westfalenblatt: "Der Jugendliche war alleine im Innenhof. Er saß teilnahmslos mit dem Rücken an der Kirchenmauer und hatte den Kopf gesenkt. Drei Seiten des Hofs sind von Mauern begrenzt, an der vierten Seite standen Polizisten. Der 16-Jährige stellte also keine Gefahr für die Allgemeinheit dar."
In dieser Situation sei es Aufgabe der Polizisten gewesen, das mildeste Mittel zu wählen, um den Jungen von einem möglichen Suizid abzuhalten. "Man hätte zum Beispiel erstmal einen Dolmetscher besorgen können." Denn der Jugendliche sei von den Polizisten auf deutsch und spanisch angesprochen worden, soll aber diese beiden Sprachen nicht gesprochen haben. "Die Polizisten hätten außer einem Übersetzer auch eine Verhandlungsgruppe oder einen Psychologen anfordern können", sagt Oberstaatsanwalt Dombert. Es habe jedenfalls nicht die Not bestanden, sofort eingreifen zu müssen. "Die Lage war statisch. Der Jugendliche saß da und tat nichts."
Nach derzeitigem Ermittlungsstand habe erst die Entscheidung des Einsatzleiters, den Jugendlichen mit Reizgas zu besprühen, dazu geführt, dass der 16-Jährige aufgestanden sei. Im weiteren Verlauf hatte sich dann eine Situation ergeben, die die Polizisten als bedrohlich wahrgenommen haben wollen. Nachdem zwei Schüsse aus Tasern den 16-Jährigen nicht paralysieren konnten - die Elektroschocker funktionierten nicht wie vorgesehen - erschoss ein Polizeikommissar (29) den Jugendlichen mit vier Kugeln aus einer MP. Er habe die Beamten mit dem Messer bedroht, so die offizielle Schilderung der eingesetzten Kräfte. Diese Darstellung ist für die Ermittler jedoch noch nicht erwiesen.
Die Ermittlungen werden jetzt vom Bundeskriminalamt geführt. Dazu Dombert: "Der Grund ist ganz einfach der, dass der Audio-Experte des LKA im Moment krank ist, und wir die Untersuchungen nicht auf die lange Bank schieben wollten." Die Übergabe einer Petition an den Landtag von Nordrhein-Westfalen am vergangenen Montag, in der 36.000 Unterstützerinnen und Unterstützer eine unabhängige Untersuchungskommission zum Tod von Mouhamed D. fordern, hat sicher mehr zur Beschleunigung der Untersuchungen beigetragen als die Krankheit des LKA-Beamten. Die neuen Erkenntnisse machen jedoch die Untersuchungskommission nicht unnötig, sondern unterstreichen ihre Notwendigkeit! Die Ermittlungen müssen sich auch gegen die Entscheidungsträger in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen richten, die für die Rechtsentwicklung im NRW-Polizeiapparat verantwortlich sind.