Prag
Teilweise berechtigte Anliegen, aber insgesamt sozialchauvinistische Ausrichtung
In Prag haben am vergangenen Wochenende 70.000 Menschen gegen die Regierung protestiert und ihren Rücktritt gefordert. Die Demonstranten hatten zum Teil berechtigte Anliegen. Aber das Motto "Die Tschechische Republik zuerst" gab dem Protest eine sozialchauvinistische nationalistische Ausrichtung.
Die Demonstranten wandten sich gegen die hohen Gas- und Strompreise und fordern den Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsident Petr Fiala. Die Reallöhne sind in Tschechien schon das dritte Quartal in Folge gesunken. Im zweiten Quartal lag der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr bei 9,8 Prozent, wie das tschechische Statistikamt
meldete. Die Armut im Land nimmt zu. Lebten Ende 2021 noch neun Prozent der Menschen mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze, so sind es nun bereits 16 Prozent.
Auch das Anliegen, dass Tschechien nicht die Ukraine in dem von beiden Seiten ungerechten Krieg militärisch unterstützen soll, ist berechtigt. Aber schon die Losung auf einem Transparent "Alles für die Ukraine - Zwei Pullover für uns" ist nationalistisch und spalterisch. Es bedarf in Tschechien fortschrittlicher Proteste gegen den Kriegskurs der Regierung und die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten auf die breiten Massen. In diesen Protesten muss die Klassenselbständigkeit der tschechischen Arbeiterklasse gestärkt werden.
Mitorganisatoren der Demonstration waren unter anderem Jiri Havel, der sich bei den Protesten auch gegen richtige Corona-Schutzmaßnahmen führend hervortat. Zuzana
Majerova-Zahradnikova von der extrem reaktionären Partei Trikolora verlangte, die Regierung müsse die antirussischen Sanktionen zurücknehmen, da sie den tschechischen Unternehmen schaden würden. Josef Skala von der KP Böhmens und Mährens (KSCM) protestierte gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine. Die KSCM ist Teil des Solid-Netzwerks und hat bisher den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt und ein "Ende der völkerrechtswidrigen Militäroperation" gefordert.
Die Beteiligung fortschrittlicher Kräfte an den bürgerlich-nationalistischen Protesten ist nicht richtig. Sie müssen selbständige Proteste unter Führung der Arbeiterklasse organisieren und ein Bündnis der fortschrittlichen Kräfte schmieden, um die Kriegs- und Sozialpolitik der Regierung anzugreifen und konsequent gegen nationalistische, sozialchauvinistische und faschistische Kräfte vorzugehen.
Große Bedeutung hat der marxistisch-leninistische Parteiaufbau. Am 17. September soll die nächste Großdemonstration auf dem Prager Wenzelsplatz stattfinden.