Italien
Wahlbeteiligung auf Tiefstand - Faschistische Partei Fratelli d'Italia führt voraussichtlich künftige Regierung
Am Sonntag wurde in Italien ein neues Parlament gewählt. Der Rechtsblock unter Führung der faschistischen Politikerin Giorgia Meloni gilt als Wahlsieger und wird mit der Regierungsbildung beauftragt.
Nur knapp 64 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, eine Wahlbeteiligung auf historischem Tiefstand, 9 Prozent geringer als 2018. So betrachtet nehmen sich die Stimmengewinne der faschistischen Fratelli d'Italia, der Partei von Giorgia Meloni, sehr viel bescheidener aus. Von einem "Erdrutschsieg", wie bürgerliche Medien in ganz Europa behaupten, kann man nicht sprechen. Allerdings markiert ein Stimmenanteil der Fratelli von 26,1 Prozent eine deutliche Rechtsentwicklung, die von den Herrschenden in Italien massiv vorangetrieben wurde. Auf dem Hintergrund der beschleunigten Destabilisierung des imperialistischen Weltsystems ist die Auflösung des traditionellen Parteiensystems in Italien weiter vorangeschritten. Im Wahlergebnis kommt eine verschärfte Polarisierung zwischen einer ultrareaktionären Entwicklung der imperialistischen Politik und kämpferischen Aktivitäten bis hin zu politischen Streiks gegen die akute Weltkriegsgefahr in der Arbeiterklasse zum Ausdruck.
Stimmenverschiebungen innerhalb des Rechtsblocks
2018 kamen die Fratelli noch auf einen Stimmenanteil von 4,3 Prozent. Jetzt sind sie stärkste Kraft in dem Rechtsblock, auf den insgesamt 44 Prozent der abgegebenen Stimmen entfallen. Er hat in beiden Kammern die absolute Mehrheit. Meloni profitiert von großen Stimmenverschiebungen innerhalb des Rechtsbündnisses aus faschistischen Fratelli d'Italia, faschistoider Lega unter Matteo Salvini und ultrareaktionärer Forza Italia des Medienmillionärs Silvio Berlusconi. Meloni und ihre Fratelli sind die einzigen darin, die nicht in der letzten Regierung waren. Die Lega schnitt mit 8,9 Prozent viel schlechter ab als erwartet, sie verlor die Hälfte ihrer Wählerschaft. Die Forza Italia (FI) landete bei 8,1 Prozent, 2018 lag sie bei 14,4 Prozent. Berlusconi selbst kehrt ins Parlament zurück. Meloni profitierte außerdem vom sehr schlechten Abschneiden der Sozialdemokraten und damit auch von der Abwendung von Millionen Italienern von den Parteien im bisherigen bürgerlichen Parlamentarismus. Es gelang ihr, sich demagogisch als einzige Opposition der "kleinen Leute" dagegen darzustellen.
Wahlrecht begünstigt Bündnisse
Nach dem komplizierten italienischen Wahlrecht haben breite Bündnisse weit bessere Chancen, die nach dem Mehrheitswahlrecht vergebenen Direktmandate in den Wahlkreisen zu gewinnen als einzelne Parteien. Mit einem relativen Stimmenanteil von 45 Prozent aller Stimmen kann ein Bündnis sogar die absolute Mehrheit der Parlamentsmandate in beiden Kammern erringen. Die Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD) kamen auf 19 Prozent, zusammen mit Grünen und zwei weiteren kleinen Parteien auf 26 Prozent. Dieses sogenannte Linksbündnis trat jedoch gar nicht als festes Bündnis an und insbesondere weigerte sich der PD-Vorsitzende Enrico Letta, ein Wahlbündnis mit den Cinque Stelle (Fünf Sterne-Bewegung) einzugehen, die mit 15,4 Prozent als drittstärkste Kraft aus den Wahlen hervorging. Zusammen mit der Zentrumspartei kämen diese Parteien auf 49 Prozent, also mehr als der "Wahlsieger" Rechtsbündnis.
Anpassung der faschistischen Ideologie an den Zeitgeist
Der Wahlkampf und das Programm von Giorgia Meloni und ihrer Partei Fratelli d'Italia sind ein Musterbeispiel für die scheinbare Anpassung der faschistischen Ideologie an den "Zeitgeist". Meloni vermeidet martialische Auftritte, gibt sich modern und massenfreundlich. Schon seit längerem werden weltweit neofaschistische Parteien wieder hoffähig gemacht. Eigens für die Fratelli d'Italia wurde der neue Begriff „Postfaschismus“ erfunden. Laut Wikipedia bezeichnet Postfaschismus „eine politische Strömung, die aus dem überwundenen historischen Faschismus hervorgeht und ihre Wurzeln in dessen Erbe sieht, ohne aber die existierende demokratische Ordnung umstoßen zu wollen“. Diese an Verharmlosung kaum zu überbietende Definition dient als Brücke, um auch mit Vertretern einer offen terroristischen Politik die Zusammenarbeit pflegen zu können. Die Verharmlosung faschistischer Parteien als Bestandteil der bürgerlichen Demokratie steigert auch die Verwirrung unter den Massen, wie solche Kräfte tatsächlich einzuschätzen sind.
Nicht umsonst beeilten sich Vertreter der Europäischen Volkspartei nach den Wahlen in Italien zu betonen, dass man mit dieser Art von Rechten durchaus zusammenarbeiten könne, schließlich würden sie auch die westliche Politik im Ukraine-Krieg mittragen usw. Das kennzeichnet den weiteren Rechtsruck sämtlicher bürgerlicher Parteien und nicht den "gemäßigten" Charakter der Fratelli. Der Kurs in der Ukraine-Politik, den die Fratelli im engen Schulterschluss mit der polnischen PIS-Partei unterstützt, ist ebenso keineswegs "gemäßigt", sondern ein ultrereaktionärer Kurs der Weltkriegsvorbereitung, der Aufrüstung und Faschisierung der Staatsapparate, wie ihn sämtliche Imperialisten verfolgen. Kein Wunder, dass dieser auch für Faschisten gangbar ist! EVP-Vorsitzender Manfred Weber sagt laut Deutschlandfunk, er wolle ausdrücklich die Forza stärken. Er halte zudem Meloni nicht für eine Faschistin, sondern will sie auf einen klar pro-europäischen, pro-ukrainischen und pro-rechtsstaatlichen Kurs zwingen .
Fünf-Sterne-Bewegung macht linken Wahlkampf und schneidet überraschend gut ab
Mit 15,4 Prozent hat die Fünf-Sterne-Bewegung als drittstärkste Kraft überraschend gut abgeschnitten. Sie traten in diesem Wahlkampf als die wahre Linke auf und setzten vor allem auf Wähler im von Arbeitslosigkeit und Armut gebeutelten Süditalien. Am meisten punkteten sie mit dem "Bürgerlohn", ein Grundeinkommen für Arbeitslose und arme Familien. Die Wählerinnen und Wähler der Fünf-Sterne-Bewegung hatten für ihre Stimmabgabe mehrheitlich subjektiv soziale und fortschrittliche Motive.
Außenpolitische Gegensätze
Im jetzt angebahnten Wechsel auf eine offen reaktionäre und faschistoide Regierungskoalition unter Führung der erklärten Faschistin Giulia Meloni kommen nicht nur innenpolitische, sondern auch wachsende außenpolitische Gegensätze im Rahmen des imperialistischen EU-Blocks zum Ausdruck. Es sind Länder wie Ungarn, Polen, Schweden oder jetzt Italien, die eigene imperialistische Ambitionen verstärken, sich nicht mehr so einfach von den größten imperialistischen Mächten der EU, Deutschland und Frankreich den Takt diktieren lassen wollen und dafür einen nationalistischen Kurs fahren. Das vergrößert die Sprengkräfte innerhalb des EU-Blocks.
Die Sorgen der Massen
"Besonders die stark gestiegenen Preise für Lebensmittel machen den Massen in Italien große Sorgen", berichtet ein Korrespondent aus Italien kurz vor den Wahlen. "Insbesondere Milchprodukte sind teuer. Die günstigste Butter kostet 3 Euro, Milch 1,60 Euro. Aber auch alle anderen Dinge, selbst regionale Lebensmittel sind teuer. Super kostet 1,70, Diesel 1,80 - etwas weniger als in Deutschland, aber trotzdem eine enorme Steigerung. In unserem kleinen Tal haben wir in einer Woche sowohl Waldbrände als auch Gewitter mit sinflutartigen Regenfällen erlebt, während in einigen Regionen im Norden der Notstand wegen Dürre ausgerufen würde. Die klassenkämpferische Gewerkschaft SI Cobas plant einen heißen Herbst mit Demonstrationen und Streiks."
Neue Ausgangslage
Der Regierungsantritt faschistischer Parteien in Italien schafft dort eine neue Ausgangslage. Auch wenn - wie beispielsweise in Ungarn - formal der bürgerlich-demokratische Rahmen beibehalten wird, werden grundlegende bürgerlich-demokratische Rechte außer Kraft gesetzt, fortschrittliche Kräfte verfolgt und Arbeiterkämpfe unterdrückt. Auch in Italien steht der Aufbau einer antifaschistischen Einheitsfront auf der Tagesordnung. Vor allem aber muss der Aufbau einer revolutionären Partei mit aller Kraft vorangetrieben werden, die in der Lage ist, das notwendige Klassenbewusstsein zu entwickeln, um allen Verwirrmanövern zu widerstehen und die Arbeiterklasse zum Vorkämpfer und Anziehungspol der Interessen der Massen zu machen.